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Hl. Nikolai von Japan: Eine Belehrung in angespannter Zeit

Apostelgleicher Hl. Nikolai von Japan (Kasatkin, 1836-1912)

Drei Tage vor Kriegsbeginn - Pastoralversammlung und Beschluss


Die vorliegende Belehrung, die jetzt in der Reihe unserer Erstübersetzungen erstmalig aus dem Japanischen übertragen wurde, ist ein Auszug aus der Predigt des Erzbischofs, welche er am Sonntag, 7. 2. 1904 (25.1.1904; “Verlorener Sohn”) in der Kathedrale in Tokio (Nikorai-dô) anlässlich der damaligen Klerus-Versammlung gehalten hat.


Jetzt bricht der Krieg zwischen Japan und Russland aus[1], und deshalb konnte ich mich bis gestern nicht entscheiden, ob ich weiterhin in Japan bleiben oder nach Russland zurückkehren soll. Doch, heute habe ich mich endlich entschlossen, hier zu bleiben. Wenn ich dorthin zurückkehren würde, blieben natürlich verschiedene wichtige kirchliche Angelegenheiten, vor allem für unsere hiesige Kirchengemeinde, unerledigt sowie die Finanzplanung (z.B. die Spendenaktion, durch die ich eine neue Kathedrale in Osaka errichten möchte[2] und das Projekt, wie ganz Japan missioniert werden soll). Dagegen habe ich mich heute ohne weitere Zweifel entschieden, hier (d.h. in der Zentralgemeinde der japanischen Kirche) zu bleiben. Ihr – der Klerus, die Missionierenden, die Lehrer und die Brüder der Großen Japanischen Orthodoxen Kirche – habt einstimmig beschlossen, mir zu erlauben, so wie bisher in der japanischen Kirche zu verbleiben, — das entspricht ganz meinem Wunsch, und ich freue mich darüber sehr. Durch euren Beschluss[3] wurde meinem Wunsch entsprochen, und das war Gottes Segen. Dies habe ich während des Gebets der heutigen Liturgie so empfunden. Weshalb ich gestern unentschlossen war… aus eigenen privaten Motiven. Ich bin schon seit 23 Jahren nicht im Heimatland gewesen, deshalb habe ich überlegt, ob ich nicht jetzt zurückkehren sollte.[4]

Dies wäre jedoch bloß, damit meine Seele getröstet werde, was eine rein private Sache ist. Aus Sicht des Dienstes soll ich jetzt selbstverständlich bei dieser jungen japanischen Kirche bleiben. Dass ich mich um des eigenen Vorteils willen von dieser jungen Kirche weit entfernen und dorthin zurückkehren würde, begann mein Gewissen zu plagen. Genau entsprechend eurem Beschluss bleibe ich jetzt ganz fest in Japan, und damit kann ich hier den Pastoraldienst für die gesamte japanische Kirche leisten. Dies ist wahrhaftig Gottes Hilfe und auch euer Beistand, für den ich euch herzlich danke. Wie ihr mir freundlich vorgeschlagen habt, sollte ich, falls mir eine Gefahr drohen würde, in der österreichischen Botschaft Zuflucht suchen. Aber so etwas halte ich nicht für nötig. Ich bleibe in diesem Haus. Natürlich – wenn die russischen Gesandten aus Japan zurückgezogen werden, werdet ihr eine Bitte um die Unterstützung der Russen an den österreichischen, deutschen oder französischen Botschafter richten. Bisher weiß ich es zwar nicht genau, aber zweifellos wird ja die japanische Regierung die Menschen schützen, welche für den Krieg selbst keine Bedeutung haben. Allerdings möchte ich nicht für mich selbst um den Schutz der japanischen Regierung ersuchen und damit Umstände machen. Euer Bestreben sollte vor allem sein, die Kathedrale und die anderen Gebäude bei der Kathedrale zu schützen. Diese Kathedrale liegt in Japan. Wenn sie zerstört würde, wäre das ein Verlust für die gesamte japanische Orthodoxe Kirche. Das würde sinnlose Unkosten verursachen. Deshalb sollte alles, was mit kirchlichen Gebäuden und sämtlichem Gemeinnutz der Kirche zu tun hat, vorher beim Polizeipräsidium oder beim Außenministerium abgeklärt und um angemessenen Schutz für die Gebäude gebeten werden.

Was mich selbst angeht, so braucht man sich keine besonderen Sorgen machen. Ihr sagt: wenn ich in jenem Zimmer bleibe, ist das äußerst gefährlich, aber so denke ich nicht. Egal wo man ist - überall ist es gefährlich, wenn der allgemeine Zustand gefährlich ist. Aber jetzt brauchen wir uns noch keine Sorgen zu machen. So wie ich es bisher gehalten habe, will ich in demselben Zimmer mit Herrn Nakai[5] gemeinsam Gebetstexte und das Alte Testament übersetzen. Betet ihr, bitte, auch wie gewöhnlich in der Kathedrale, missioniert, unterrichtet und lernt gewöhnlich in der Theologischen Schule, in der Schwesternschule und in der Missionsschule. So lernt ihr [fleißig]. Alles andere bleibt wie gewöhnlich. Nichts wird verändert.

Allerdings sollt ihr euch, bitte, insbesondere um Folgendes bemühen: Falls der Kriegsbeginn schon morgen erklärt wird, betet ihr für den Sieg von Japan, und wenn Japan den Krieg gewonnen hat, wird dem ein Dankgottesdienst gewidmet.[6] Dies ist das Gebet, mit dem ihr dem japanischen Volk unbedingt dienen sollt. Das erfordert die Loyalität, die ihr als Gläubige in Japan als eure unbedingte Pflicht erfüllen sollt. Der Gebetstext im Kriegszustand wurde in den letzten Jahren neu bearbeitet, doch er stammt aus der Zeit des Ersten Japanisch-Chinesischen Krieges, und darin sollten einige Worte revidiert werden.[7] Es wäre gut, diesen Text zur jetzigen Lage passend zu verbessern, damit er genutzt werden kann.

Die Lehre des Herrn Jesus Christus ist, dass jeder sein Land liebt und dem eigenen Kaiser loyal sein soll. Als der Herr Jesus Christus für Israel seine Tränen vergoss, ging dies nämlich auf seine Vaterlandsliebe zurück. So in der patriotischen Seele wahrhaftig zu sein, das hat Er mit seinem eigenen Beispiel gezeigt. Verkörpert ihr nur gut diese Seele[nhaltung] und drückt durch Wort und Tat die Verherrlichung Gottes seitens der orthodoxen Christen aus! Heute habe ich wie gewöhnlich den öffentlichen Gottesdienst durchgeführt, aber ich folge diesmal eurer Empfehlung und werde keine öffentlichen Gottesdienste mehr halten, werde dies nur als Privatperson und als Privatdienst übernehmen. Dies ist jedoch nicht aus dem Grund, weil - wie ihr mich warnt - eure irre geführten Landsleute mir Schaden zufügen könnten. Solch eine gesellschaftliche Moral gibt es in Japan nicht mehr. Dieser Grund ist für mich nicht so wichtig. Vielmehr, was wichtiger ist, wäre es ungünstig, dass bei Kriegsausbruch ich, ein Russe, bete: In der gewöhnlichen Liturgie sollte ich für den Sieg des japanischen Kaisers beten. Jedoch würde man im Kriegszustand als Angehöriger des russischen Volkes dem eigenen Kaiser gegenüber nicht loyal beten und wäre zugleich unwahrhaftig dem japanischen Kaiser gegenüber. Dennoch, wenn ich für den Sieg meines eigenen Kaisers beten würde, wäre dies äußerst unanständig euch, den japanischen Menschen gegenüber. So etwas kann man überhaupt nicht [tun]. Ihr seid allerdings Japaner, deshalb ist klar, dass ihr für Japans Sieg betet.

Selbstverständlich freut ihr euch, wenn die japanische Armee gewinnt. Das macht mir Freude, wenn ihr das ganz natürlich tut. Aber die Andersgläubigen hätten keine Freude, mich in einer solchen Situation anzuschauen. Das ist der Grund, weshalb ich eine Weile bei der öffentlichen Liturgie nicht erscheinen werde. Deshalb bitte ich euch, dass nur durch euch, durch Japaner die Liturgie gefeiert wird.

Davon abgesehen, braucht man sich während des Kriegs über den Klerus und dessen Monatsgehälter nicht zu sorgen. Es gibt jetzt noch für mehrere Monate genug heilige Zuwendungen, die vom Schöpfer für die Mission und den kirchlichen Bedarf geschenkt wurden. Es gibt auch einen anderen Weg, auf dem der spätere Anteil ausgezahlt werden kann. Ihr macht euch jedenfalls keinerlei Sorge um euren Lebensunterhalt, sondern ihr missioniert, schützt [die euch Anbefohlenen] und lehrt wie gewöhnlich.

Heute habe ich mich sehr gefreut, dass ihr so über die Kirche beraten und den Beschluss gefasst habt, mich in Japan wohnen zu lassen. Damit bin ich sehr zufrieden. Ich hoffe, dass der liebevolle Gott euch und sämtliche Kirchen schützt. Dadurch bleibt die Kirche wie bisher, beständig, und das heißt doch, sie gedeiht noch viel mehr als früher.

aus dem Japanischen: Ioann Imanishi Kenji (München)

a.a.O. - s. Bote, 1/2021, S. 9, Suzuki; Kaminaga (Hrsg.), 1911, S. 42-50. und Shibayama [Sibayama], 1936, S. 253-257.


[1] Es geht um den Russisch-Japanischen Krieg, in dem die Kriegserklärung am 10.2.1904 erfolgte. [2] Der hl. Nikolai hat bereits 1874/75 begonnen, in Osaka neu zu missionieren. 1878 entstand die Kirchengemeinde in Osaka. [3] Beschluss vom 7.2.1904. [4] Der hl. Nikolai war 1879-80 in Russland. [5] Pavel Nakai Tsugumaro (1855-1943), der Sinologe, der für das japanische Übersetzungsprojekt des Hl. Nikolais wie Gebete, Heiligen Schriften und Liturgietexte unterstützt hat. [6] Genau am selben Tag 10.2.1904 wurden die Kriegserklärung von beiden Seiten Russland und Japan veröffentlicht. Unstimmig s. O. [7] Gemeint ist hier der 1894-95 ausgebrochenen Krieg zwischen Japan und China um den Status von Korea.

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