Bischof Atanasije von Bosnien und Herzegowina (Jevtic – 1938-2021) [1]
Atanasije Jevtic wurde vom hl. Justin Popovic 1960 zum Mönch geweiht und blieb ihm als geistlichem Vater zeitlebens nahe. Nach Abschluss des Seminars studierte er in Belgrad an der Theologischen Fakultät 1958-1963, ab 1964 in der Theologischen Akademie des Konstantinopler Patriarchats auf der Insel Chalki (Türkei), dann in Athen, wo er den Doktortitel erwarb, später in Paris (Institut St. Serge), wo er dann auch lehrte. Lehrte von 1973 an Patrologie in Belgrad an der Theologischen Fakultät, deren Dekan er auch zeitweise war. Wurde 1991 zum Bischof von Banat geweiht und 1992 als Bischof von Bosnien und Herzegowina eingesetzt. Lebte im Kloster Tvrdoš im Ruhestand nach einem Autounfall 1996 und führte seine umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten bis zu seinem Ableben fort.
Da Bischof Atanasije mit festen Banden der Freundschaft Vladyka Mark (auch einem Schüler des hl. Justin Popovic) anverbunden war, besuchte er bis zum Beginn des Krieges in Jugoslawien regelmäßig die deutsche Diözese der ROKA, nahm teil an deren Seminaren in Frankfurt und Jugendtreffen in München. Einige seiner Vorträge (seine Redeweise bezeichnete Bischof Atanasije humorvoll als “serbische Redaktion der russischen Sprache”) sind digital vorhanden und werden auf der Internetseite des “Boten” - derbote.online - ausgestellt. - Red. (2024)
Die Buße ist die Grundlage des christlichen neuen Lebens oder des christlichen neuen Daseins, des Daseins in Christus. Daher beginnt auch das Evangelium mit den Worten des Vorläufers: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe". Und das erste Wort Christi nach Seiner Taufe war: "Tut Buße und glaubt an das Evangelium".
Doch in unserer Zeit stellt sich die Frage: warum ist Buße notwendig? Vom sozialen Standpunkt aus gesehen, ist es unangebracht, von Buße zu sprechen. Natürlich, es gibt so eine Art Buße, besonders in den Ländern des östlichen Totalitarismus: Wenn jemand die Parteilinie verlassen hat, dann verlangt man von ihm Reue. Oder wenn die Parteiführer selbst den anfänglichen Plan verlassen, dann nennt man das nicht Umkehr oder Reue, sondern “Reform” oder “Umbau” (perestrojka) … Aber hier ist keine wahre Buße. Wer von euch hat den Film von Abuladze “Pokajanije” (Buße) gesehen? Dort ist gerade die Rede von der Pseudo-Buße, und nur erst am Ende des Films sieht man, was echte Buße ist. Der Film entlarvt die falsche Buße als eine Art Veränderung des “Ideals”, oder des Stils der Machhabenden, die aber unverändert bleiben. Tatsächlich so eine Art “Reue” hat mit der wahren Buße gar nichts gemeinsam.
In der Heiligen Schrift gibt es, im griechischen Text, zwei verschiedene Bezeichnungen: metanoia und metamelia. Die zweite Bezeichnung wird manchmal nicht als Buße übersetzt, sondern als Umdenken. So kann man z. B. sagen: ich wollte nach Frankfurt fahren, doch ich fahre nicht. Das wird in der Heiligen Schrift als metamelia bezeichnet, d.h. es ist einfach eine Veränderung der Absicht. Dies hat keinerlei geistliche Bedeutung. Auf dem Gebiet der Psychologie kann man noch von einer Veränderung des Charakters sprechen, einer Veränderung der eigenen Neurose. Doch in der Psychologie fehlt sowohl bei Adler, als auch bei Freud und sogar bei Jung der Begriff der Buße, denn die Buße ist etwas Religiöses.
In erster Linie muss man vor jemandem Buße tun, nicht einfach seinen Lebensstil oder sein inneres Gefühl oder Erfahrung ändern, wie etwa in den östlichen Religionen und Kulturen. Man sagt, dass der Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss, um sich bewusst selbst zu erkennen, sich selbst zu verwirklichen, damit das Licht seines Bewusstseins aufwacht. Für eine solche Verwandlung braucht man Gott nicht.
Die christliche Buße jedoch ist Reue vor jemandem. So z. B. gab es einen Serben - er ist jetzt schon 60 Jahre alt -, der in der Jugend Kommunist war und (wie sie alle) dem Volk viel Leid zufügte. Doch später wandte er sich dem Glauben zu, Gott, der Kirche, und als man ihm vorschlug, die Heilige Kommunion zu empfangen, sagte er: “Nein, ich habe viel Böses getan”. Man sagte ihm, er solle zur Beichte gehen. Doch er sagte: “Nein, wenn ich zur Beichte gehe, so tue ich das vor einem Priester, ich aber habe vor dem Volk gesündigt, ich muss öffentlich vor dem Volk beichten”. Das sehe ich als vollkommenes Bewusstsein dessen an, was Buße ist. Dies ist bereits ein kirchliches Gefühl, ein altchristliches und wahrhaft biblisches, dass der Mensch auf der Welt niemals allein ist. Er steht zu allererst immer vor Gott, aber auch vor den Menschen. Deshalb hat in der Bibel die Sünde des Menschen vor Gott immer eine Beziehung zum Nächsten. Sie hat also eine soziale und gesellschaftliche Dimension oder Konsequenz. Und das fühlt man auch in unserem Volk. So auch bei den großen russischen Schriftstellern. Unser Volk, sei es das serbische oder russische, unser orthodoxes Volk hat das Gefühl, dass irgendein Dieb oder ein Tyrann, oder jemand der seinem Nächsten Böses zufügt, dasselbe ist wie ein Gottloser. Selbst wenn er an Gott glaubt, so nutzt dies nichts – tatsächlich lästert er, verhöhnt Gott, da sein Leben sich von Ihm entfernt.
Es gibt ein ganzheitliches Verständnis der Buße als eines rechten Stehens sowohl vor Gott als auch den Menschen. Deshalb kann für uns Christen die Buße nicht allein mit sozialen und psychologischen Maßstäben gemessen werden –sie ist immer ein durch Gott offenbarter biblischer, christlicher Begriff.
Christus beginnt Sein Evangelium, Seine Frohbotschaft, Seine Unterweisung der Menschheit mit der Buße. Wie der hl. Mark der Asket – ein Heiliger des 4. Jh., Schüler des Hl. Johannes Chrysostomos, der als Einsiedler in Kleinasien lebte – lehrt, hinterließ unser Herr Jesus Christus, die “Kraft Gottes und Weisheit Gottes”, in der Fürsorge ob der Errettung aller, unter Seinen verschiedenen Dogmen und Geboten ein einziges Gesetz: das Gesetz der Freiheit. Und zu diesem Gesetz der Freiheit gelangt man nur über die Buße. So gebot Christus den Aposteln: "predigt allen Völkern die Buße, denn das Himmelreich ist nahe". Und damit wollte der Herr sagen, dass in der Kraft der Buße die Kraft des Himmelreiches enthalten ist, so wie im Sauerteig das Brot enthalten ist, oder im Korn die ganze Pflanze. So ist die Buße der Anfang des Himmelreiches. Erinnern wir uns an den Brief des Hl. Apostel Paulus an die Hebräer: Diejenigen, die Buße taten, fühlten die Kraft des Himmelreiches, die Kraft der künftigen Zeit, aber sobald sie sich der Sünde zuwandten, verloren sie diese Kraft, und dann wurde es nötig, die Buße wieder zum Leben zu erwecken.
Die Buße ist also nicht einfach eine soziale oder psychologische Fähigkeit, dank derer man mit anderen Menschen ohne Konflikte auskommen kann. Die Buße ist eine ontologische, seinsgemäße Kategorie des Christentums. Als Christus das Evangelium mit der Buße begann, hatte Er die ontologische Wirklichkeit des Menschen im Auge, und Er gab, nach den Worten des hl. Gregor Palamas, das Gebot der Buße und die übrigen Gebote, die der menschlichen Natur angemessen waren, denn am Anfang schuf Er die Natur und wusste, dass Er später kommen und die Gebote geben wird. Deshalb schuf Er die Natur gemäß der künftigen Gebote. Und umgekehrt gab Er solche Gebote, die der Natur entsprachen, welche Er am Anfang geschaffen hatte. Auf diese Weise ist das Wort Christi von der Buße keine Verleumdung der menschlichen Natur, sie ist nicht etwas der menschlichen Natur “Aufgezwungenes”, sondern das Allernatürlichste, Normale, etwas der menschlichen Natur Entsprechendes. Es geht lediglich darum, dass die menschliche Natur gefallen ist und sich deshalb in einem für sich selbst anomalen Zustand befindet. Die Buße ist genau der Hebel, durch den der Mensch seine Natur ins rechte Lot bringt, in ihren normalen Zustand zurückversetzt. Deshalb sagte der Heiland: metanoite – wandelt euren Geist um. Unser Geist, unser Denken hat sich nämlich von Gott entfernt, von sich selbst und von den Anderen. Darin besteht der krankhafte, pathologische Zustand des Menschen, und dies wird mit dem Ausdruck "Leidenschaft" bezeichnet. Auf griechisch ist dies "pathos" (Pathologie) – wohl Krankheit, Pervertierung, aber doch noch nicht völlige Zerstörung, so wie die Krankheit nicht die völlige Zerstörung des Organismus bedeutet, sondern lediglich eine Verderbnis. So ist der sündige Zustand der Natur des Menschen ebenfalls eine Verderbtheit seiner Natur, die jedoch wiederhergestellt, berichtigt werden kann. Und deshalb kommt die Buße wie die Gesundheit auf eine kranke Stelle, auf die kranke Natur des Menschen. Und wenn der Herr sagte, dass wir Buße tun sollen, dann sollen wir – selbst dann, wenn wir in uns kein Bedürfnis nach Buße verspüren – Ihm glauben, dass wir wirklich Buße tun müssen. Und tatsächlich fühlten die großen Heiligen das Bedürfnis nach Buße umso mehr, je mehr sie sich Gott näherten, denn sie fühlten die Tiefe des Falls des Menschen.
Ich möchte dazu ein Beispiel aus unserem Leben anführen. Der peruanische Schriftsteller Carlos Castaneda hat bereits 8 Bücher über irgendeinen indianischen Weisen und Magier, Don Juan in Mexico, geschrieben, der ihn lehrte, Drogen zu nehmen, um sich in den Zustand einer anderen Realität zu versetzen, in die Tiefe der Schöpfung einzudringen und ihre geistliche Bedeutung zu erfahren, in Kontakt mit geistlichen Wesen zu treten. Er ist Anthropologe. Er rief großes Interesse bei der Jugend hervor. Leider auch bei uns. Schon 8 Bände sind übersetzt. Kürzlich wurde ich zu einer Aussprache über Castaneda eingeladen. Ein Psychiater sagte, dass die Einnahme von Drogen ein gefährlicher Weg sei, da man u. U. von den daraus folgenden Halluzinationen nicht zurückkehren kann. Ein Schriftsteller lobte ihn. Eine Dichterin war reserviert. Und ich war der strengste Kritiker. Das, was Don Juan dem Schriftsteller Castaneda sagt, wissen wir alles. Wir befinden uns in einem tragischen anomalen Zustand. Doch was schlägt er vor, um uns aus diesem Zustand zu befreien? Nun, wir fühlen vielleicht eine andere Realität, werden ein wenig von unseren Begrenzungen befreit, und was bringt das? Nichts! Der Mensch bleibt ein tragisches Wesen, nicht erlöst, und nicht einmal gereinigt. Er kann sich nicht nach Baron von Münchhausen selbst an den Haaren aus dem Schmutz ziehen. Wie der Hl. Apostel Paulus sagt: weder andere Himmel, noch eine andere Schöpfung, noch das Jenseits oder der siebente Himmel können den Menschen retten, denn der Mensch ist kein unpersönliches Wesen, das lediglich des Friedens und der Ruhe bedarf. Er ist ein lebendiges Wesen, das den lebendigen Kontakt zu Gott sucht. Ein serbischer Bauer und Kommunist sagte ziemlich grob: “Wo ist denn dieser Gott da, dass ich Ihn an der Kehle packen kann?” Ist er ein Atheist? Keineswegs, er ist kein Atheist, sondern hat ein lebendiges Empfinden für Gott, er streitet mit Gott wie Jakob. Natürlich ist diese Aussage ungebührlich, doch dieser Serbe hat doch ein lebendiges Gefühl für das Leben... Wenn man dagegen meint, das Heil liege in irgendeiner ausgewogenen Seligkeit, im Nirvana, in der inneren Welt der Konzentration und der Meditation, so führt das alles den Menschen nicht weiter. Das verschließt sogar die Möglichkeit der Errettung, denn der Mensch ist aus dem Nichtsein ins Sein geschaffen, aufgerufen zur Kommunikation...
Das können wir im Lied der Lieder (Hohelied) lesen, oder in den Psalmen, wo wir einen existentiellen Dialog zwischen Gott und den Menschen erkennen. Beide leiden. Gott tut der Mensch leid, und dem Menschen tut es leid. Dostojewski hat es besonders deutlich gezeigt: Wenn der Sünder sich von Gott entfernt, so verliert er etwas sehr Wertvolles, sehr Großes und Tragisches. Das Nicht-Kommen zur Begegnung mit Gott ist immer eine Tragödie – die Tragik des Daneben-Treffens, des verfehlten Ziels. Tragisch ist das Bewusstsein des Verlustes dessen, was wir hätten erkennen und erreichen können. Wenn der Mensch der Liebe verlustig geht, sich von Gott entfernt, so empfindet er das als tragisch, weil er zur Liebe geschaffen ist. Die Buße führt uns in den normalen Zustand zurück, zumindest an den Anfang des normalen Weges. Die Buße ist, so sagte es Vater Justin Popovic, wie ein Erdbeben, das alles niederreißt, was lediglich stabil zu sein schien, sich aber als unhaltbar erwiesen hat, und dann muss alles verändert werden, was bisher bestanden hat. Danach beginnt der echte, stete Auferbau der Persönlichkeit, des neuen Menschen.
Doch die Buße ist unmöglich, ohne die Begegnung mit Gott. Deshalb geht Gott dem Menschen entgegen. Wäre die Buße lediglich ein Überdenken, ein Bereuen, eine Umstellung der eigenen Kräfte, so wäre sie eine Perestrojka, aber überhaupt keine Veränderung im Wesen. Ein Kranker, sagte der hl. Cyrill von Alexandrien, kann sich nicht selbst heilen. Er braucht Gott als seinen Heiler. Und worin besteht die Krankheit? In der Zerrüttung der Liebe. Es kann keine einseitige Liebe geben. Die Liebe muss zumindest bilateral sein. Zur Vollkommenheit der Liebe jedoch sind drei nötig: Gott, der Nächste und ich. Ich, Gott und der Nächste. Dies ist die Perichorese der Liebe. Ein wechselseitiges Einander-Durchdringen. Es ist der Kreislauf der Liebe. Und ebendas ist das ewige Leben.
In der Buße fühlt der Mensch, dass er krank ist und Gott braucht. Deshalb beinhaltet die Buße immer eine auferweckende Kraft. Es ist nicht einfach Selbstmitleid oder eine Depression oder ein Minderwertigkeitskomplex. Es ist immer das Bewusstsein und Gefühl, dass die Kommunikation unterbrochen ist, und sofort auch die Suche und sogar schon der Beginn der Wiederherstellung dieser Gemeinschaft. Die Buße stellt den Menschen wieder her. So ging Der verlorene Sohn “ging in sich” und sagte: Das ist der Zustand, in dem ich bin. Aber ich habe einen Vater, und ich gehe zu dem Vater! Hätte er sich einfach als verirrt empfunden, so wäre dies noch keine christliche Buße gewesen. Doch er ging zum Vater! Und hier sagt die Hl. Schrift, dass der Vater ihm entgegenlief. So kann man auch annehmen, dass der Vater den ersten Schritt tat und dies in der Regung des Sohnes zurückzukehren seinen Niederschlag fand. Man muss nicht analysieren, was war zuerst, und was das zweite... Die Begegnung ist beiderseitig. Sowohl Gott als auch der Mensch treten in der Buße in die Aktivität der Liebe. Die Liebe sucht Gemeinschaft. Die Buße ist Trauer um die verlorene Liebe.
Erst wenn die Buße beginnt, empfindet der Mensch ihre Notwendigkeit. Es mag scheinen, dass der Mensch gleichsam zuerst fühlen muss, dass er der Buße bedarf, und dass in ihr für die Errettung ist. In Wirklichkeit aber ist es paradox: erst wenn der Mensch die Buße erlebt, dann fühlt er das Bedürfnis nach Busse. Das bedeutet, dass das Unterbewusstsein im Herzen tiefer ist, als das Bewusstsein – Gott gibt dem Wollenden. Christus sagte verschiedentlich: "wer dies fassen kann, der fasse es". Der hl. Gregor der Theologe fragt: und wer kann es fassen? Und antwortet darauf: derjenige, der will. Der Wille ist natürlich nicht einfach eine bewusste Entscheidung, sondern etwas viel Tieferes. So empfand es auch Dostojewski, und ebenso weiß die gesamte orthodoxe Asketik, dass der Wille viel tiefer liegt, als der Verstand des Menschen – er gründet im Kern des Menschen, der als Herz oder Geist bezeichnet wird. So heißt es im 50. Psalm: "ein reines Herz erschaffe in mir, Gott, und den rechten Geist erneuere in meinem Inneren". In diesem Parallelismus – ein reines Herz, den rechten Geist; erschaffe, erneuere; in mir, in meinem Inneren – wird das gleiche nur mit anderen Worten ausgedrückt. Herz und Geist – das ist das Wesen des Menschen, die Tiefe der gottebenbildlichen Persönlichkeit des Menschen. Man kann sogar sagen, dass Liebe und Freiheit in diesem Kern des Menschen enthalten sind. Die Liebe Gottes, welche den Menschen aus dem Nichtsein schuf. Der Ruf Gottes nahm Gestalt an und erhielt eine Antwort, aber eine persönliche Antwort, d. h. der Mensch ist die Antwort auf den Ruf Gottes.
Der hl. Basilius d. Große sagt – und dies fand in den Gottesdienst der hll. Erzengel Eingang –, dass alle Engelsscharen mit unaufhaltsamer Liebe zu Christus streben. Wenn sie auch Engel sind, erhabene geistliche Wesen, beinahe Götter, so ist in ihnen doch ohne Christus Leere. Dostojewski hat in den Mund Versilovs im Roman “Der Jüngling” eine Beschreibung dessen gelegt, dass die Menschheit gleichsam die soziale Wahrheit verwirklicht hat, Liebe, Solidarität, Altruismus, aber von der Erde die hohe Idee Gottes und der Unsterblichkeit vertrieben hat. Als Christus jedoch in Seiner zweiten Wiederkehr erschien da fühlten plötzlich alle, all die Glücklichen, die das irdische Königtum, das "Paradies auf Erden” verwirklicht hatten, dass in ihrer Seele eine große Leere gähnte, die Leere der Abwesenheit Gottes. Das heißt es gab eigentlich keine Liebe. Und Dostojewski sagte mit Recht, dass die Liebe zum Menschen ohne die Liebe zu Gott unmöglich ist.
Die beiden Liebesgebote sind vereint. Die Liebe zu Gott, vollkommen, aus ganzem Herzen, und die Liebe zum Menschen, vollkommen, wie man sich selbst liebt. Sie können ohne einander nicht auskommen, und nur zusammen erstellen sie das christliche Kreuz: die Vertikale und die Horizontale. Nimmt man eine davon fort, so kommt das Kreuz nicht zustande, dann ist es kein Christentum mehr. Die Liebe zu Gott – ist nicht genug, und die Liebe zum Nächsten – ist nicht genug.
Die Buße regt den Menschen gleichzeitig zur Liebe zu Gott und zur Liebe zum Nächsten an. Theophan der Klausner sagt in seinem "Weg zur Rettung" (und das ist die Erfahrung aller Väter): wenn sich im Menschen die Buße regt, so fühlt er sofort auch die Liebe zum Nächsten. Er wünscht allen Heil. Das ist bereits ein Zeichen echten christlichen Lebens.
Das bedeutet, dass die Buße uns in einem anomalen, sündigen Zustand den Umschwung zum normalen Zustand eröffnet, die Hinwendung zu Gott und die Besserung vor Gott. Sie eröffnet dem Menschen die volle Wahrheit seines Zustandes. Und die Buße geht sofort über in die Beichte. Die Beichte ist die Offenbarung des wahren Menschen. Manchmal scheint es selbst uns orthodoxen Christen, dass die Buße einfach irgendeine “Pflicht” des Menschen ist, die man “erfüllen muss”. Aber nein, das ist ein zu niedriges Verständnis von Beichte. Die echte Beichte aber ist dem ähnlich, was mir eine alte Russin erzählte, die auf ihren Enkel aufpasste und ihm wegen einer Ungezogenheit auf die Hände geschlagen hatte; dieser war beleidigt und ging in die Ecke, und weinte dort. Die Oma aber beachtete ihn nicht und arbeitete weiter. Dann kam der Junge und sagte: "Oma, hier hat man mich geschlagen und mir tut es hier weh". Die Großmutter war von dieser Wendung so gerührt, dass sie selbst anfing zu weinen – die kindliche Mentalität besiegte die Großmutter. Er hat sich zu ihr hin geöffnet. Die Buße ist eine Öffnung seiner selbst vor Gott. So kennen wir die Worte aus dem Psalm, die auch in den Irmos eingingen: “Mein Gebet schütte ich aus vor dem Herrn...” Gleichsam als hätte man eine Kanne mit schmutzigem Wasser und schüttet sie vor Gott aus. "Und Ihm sage ich meine Trauer, denn meine Seele ist von Bosheit erfüllt und mein Leben ist zum Grund der Hölle herabgestiegen". Fühlt er doch einfach den Sturz bis in den Grund der Hölle, wie der Jonas im Walfisch, und jetzt öffnet er sich vor Gott.
Bei der echten Buße ist alles offengelegt und die Sünde wird klar gesehen. Ein Einsiedler auf dem Athos in den Felsen, wo nichts wächst, stieg in das Kloster herab zur Beichte, und als ihn der Beichtvater fragte, was er zu beichten habe, antwortete er: “Ich habe eine große Sünde auf der Seele. Ich bewahre in einem Gefäß Zwieback auf, und eine Maus kommt und frisst ihn. Ich murre sehr über sie.” Dann schwieg er ein wenig und fügte hinzu: “Diese Maus fügt mir tatsächlich Schaden zu, aber ich zürne ihr mehr als sie mir schadet.”
Das ist wahre Buße. Alles ist klar, offen. Da wir sündig sind, öffnen wir unsere Wunden, Gebrechen, Sünden. Der Mensch sieht sich in einer verzweifelten, ausweglosen Lage- Aber echt ist das, dass er nicht nur sich selbst betrachtet, sondern nach den Worten des hl. Antonius d. Großen lebt: Stell deine Sünde vor dich und schaue jenseits der Sünde auf Gott. Durch die Sünden hindurch auf Gott schauen! Und dann hält die Sünde die Konkurrenz der Begegnung mit Gott nicht aus. Gott besiegt alles. Was ist die Sünde? Nichts! Ein Nichts vor Gott. Ja, aber eben vor Gott. Aber für sich selbst genommen, und so für mich ist sie – ein Abgrund, das Verderben, die Hölle. Wie David der Psalmist es sagt: “Aus der Tiefe rufe ich zu dir – führe aus dem Abgrund mein Leben empor.”
Unsere Seele dürstet nach Gott wie das Reh in der Wüste nach fließendem Wasser. So hat es der sel. Augustin gefühlt: Nirgends findet das Herz des Menschen Ruhe – nur in Gott. Wenn einem Kind etwas zustößt, läuft es und sucht seine Mutter, und es will niemanden und nichts außer der Mutter, es fällt in ihre Umarmung und beruhigt sich. Genauso ist das Evangelium das Buch der grundlegenden Beziehungen. Deshalb wird dort von Kindern gesprochen, vom Vater, vom Sohn, vom Haus und der Familie. Das Evangelium ist keine Theorie, keine Philosophie, sondern der Ausdruck unserer existentiellen Beziehungen – der unseren untereinander, und unserer zu Gott.
So ist die Beichte die Eröffnung der Wahrheit über sich selbst. Wir brauchen uns selbst nicht zu verleumden, d.h. nicht schlimmerer Dinge bezichtigen als wir wirklich getan haben, doch genauso dürfen wir nichts verheimlichen. Wenn wir uns verstecken, ist das ein Zeichen, dass uns die aufrichtige Liebe zu Gott fehlt. Die Bibel ist die Niederschrift der lebendigen Erfahrung, aus der Realität genommen. In der Bibel wird viel aufgezeigt, es gibt viele Sünden, auch Abtrünnigkeit von Gott, auch Hader mit Gott, doch eines werdet ihr in alledem nicht finden – Unaufrichtigkeit. Da gibt es keinen Lebensbereich, in dem Gott nicht anwesend wäre. Man muss wissen, sagt Vater Justin, dass es im Menschen viel Böses gibt und dass die Welt im Bösen untergeht, doch es gibt Rettung genau für diese Welt und für genau einen derartigen Menschen. Das ist unsere Freude! Es gibt die Möglichkeit der Errettung, und es gibt einen wirklichen Erretter.
Vater Justin illustrierte dies durch ein solches Beispiel (sehr liebte er den Propheten Elias und den hl. Johannes d. Täufer!). Nach seinen Worten war der hl. Vorläufer der unglücklichste Mensch in der Welt, denn noch als Kind zog er mit der Mutter in die Wüste, und als die Mutter gestorben war, blieb er dort. Gott schützte ihn durch Seine Engel. Er lebte in der reinen Wüste mit reinem Himmel, reinen Steinen, reinem Regen... Der Vorläufer kannte die Sünde nicht; er lebte wie ein Engel Gottes im Körper. Und dann, als er 30 Jahre alt ist, sagt Gott zu ihm: geh an den Jordan und taufe die Menschen. Und sie kommen zu ihm und beichten und gießen auf den Vorläufer ihre Sünden aus... diese werden zu einem Hügel, zu einem Berg... und er – der Vorläufer – kann diese Sünden nicht aushalten. Wisst ihr, welche Sünden die Menschen haben und in sich tragen! Und der Vorläufer beginnt zu verzweifeln: “Herr, ist das der Mensch, den Du geschaffen hast? Ist das die Frucht Deiner Hände?” Der Vorläufer begann zu ertrinken. Aber die Massen kommen zur Beichte. Wieviel Sünden müssen sich denn noch anhäufen? Und als der Vorläufer es schon gar nicht mehr aushalten kann, sagt ihm Gott plötzlich: da – das Lamm Gottes, Einer unter diesen, Der all ihre Sünden auf sich nimmt, und die der ganzen Welt. Und plötzlich wird der unglücklichste Mensch der allerglücklichste. Ehre sei Dir, o Herr! Also gibt es Errettung von diesen Sünden und von allen Sünden.
Es gibt einen Erretter! Damit drückt Vater Justin natürlich von sich aus, welch eine Buße der Vorläufer dort erlebte. Und wirklich kann ich aus meiner kleinen Erfahrung in der Nähe Vater Justins sagen: Er war ein Mensch, der ähnlich wie der Vorläufer lebte. Er war rein, ein großer Asket und hatte großes Mitgefühl, ähnlich wie Metropolit Antonij (Chrapovickij), er fühlte mit dem Sünder, hatte Mitgefühl mit jedem Menschen, jedem Geschöpf, und Gott gab ihm für dieses Mitgefühl die große Gabe der Tränen. Und das war für uns nichts Fremdes. Menschliche Tränen sind jedem von uns immer nah. In der Nähe eines Menschen, der aufrichtig Buße tut, fühlen wir, dass auch wir der Buße bedürfen, dass die Tränen natürliches Wasser sind, wertvoll wie Blut – das ist das neue christliche Blut, die neue Taufe, wie die Väter sagten. Durch die Tränen erneuern wir das Taufwasser, das warm und mit Gnade erfüllt wird.
Zu einer solchen Buße gesellt sich das Fasten.
Der Hl. Johannes von Kronstadt schreibt in "Mein Leben in Christus" dass, wenn ein Mensch Hass empfindet, seine Augen einen anderen sogar beim Gehen hindern. An der Sünde leidet der Mensch nicht nur selber, sondern es leidet seine gesamte Umgebung, einschließlich der Natur. Und wenn der Mensch beginnt Buße zu tun und zu fasten, dann wirkt das auf alles, was um ihn herum ist.
Wenn die gegenwärtige Menschheit mehr fastete, gäbe es nicht so viele ökologische Probleme. Die Beziehung des Menschen zur Natur ist überhaupt nicht fastengemäß, nicht asketisch. Sie ist brutal, vergewaltigend. Der Mensch ist ein Ausbeuter, ein Besatzer geworden. Marx lehrte ja auch so: man muss sich nur auf die Natur stürzen und sie ausnützen, sich der Gesetze bemächtigen und reproduzieren. Das ist “Geschichte” u.s.w. Eine solche Einstellung ist alles andere als menschlich, human. Echter christlicher Humanismus setzt auch das Verhältnis des Menschen zu sich selbst voraus. Die hll. Väter sagten, dass wir nicht das Fleisch töten, sondern die Leidenschaften. Das Fasten ist kein Kampf gegen den Leib, als Geschöpf Gottes. Christus ist Leib, und Seine Kommunion ist Leib. Der Kampf ist gegen die Pervertierung des Fleisches. Jeder von uns kann empfinden, dass der Mensch, der nicht über sich selbst Herr ist, über seinen Körper, zum Sklaven von Speise oder Trank oder anderen Genüssen wird. Die Materie beginnt über den Menschen zu herrschen, nicht der Mensch über die Materie.
Der Fall Adams zeigt, dass er durch den Genuss der Frucht nichts Neues erhielt. Der Sinn des Gebotes lag nicht darin, dem Menschen den Genuss der Frucht zu verbieten, als ob in ihr selbst etwas Gefährliches beschlossen wäre, sondern in der Disziplinierung, damit der Mensch den Weg der Askese beschreiten könnte. Dies ist die Askese der Freiheit und Askese der Liebe. Niemand kann das anstelle des Menschen tun. Um an der Freiheit und Liebe Gottes teilzuhaben, muss er Asket sein. Ein Sportler, ein Fußballer, zum Beispiel, muss ein Asket sein. Er kann nicht essen und tun, was er will, und dabei ein guter Sportler bleiben. Das geht nicht. Das ist klar wie der Tag. Der Christ aber muss noch mehr seinen Körper so einstellen, damit er dient (griech. liturgisiert), d.h. im Dienst, in der Liturgie ist. Und Liturgie bedeutet volle, normale allgemeine Funktion, allgemeine Tätigkeit. Wenn wir von der Hl. Liturgie sprechen, dann ist es der Dienst des Menschen vor Gott, aber im allgemeinen Sinn ist es das normale Funktionieren all dessen, was dem Menschen gegeben ist. Deswegen ist es normal, dass der Christ, der zur Buße tritt, ebenso auch das Fasten anwendet. Um dessentwillen müssen wir fasten, und nicht einfach deshalb, weil wir eine Pflicht erfüllen müssen oder, wie manche meinen, von Gott eine Belohnung, einen Kranz verdienen. Ein Opfer, das Belohnung fordert, ist ja kein Opfer. Das ist einfach eine Arbeit, die ihren Lohn erwartet. So denken Tagelöhner, nicht aber Söhne. Als Christus sich für uns zum Opfer brachte, erwartete Er dafür nicht eine Belohnung vom Göttlichen Vater, sondern Er tat dies aus Liebe. Wie Metropolit Philaret von Moskau sagt: aus Liebe zu Gott-Vater ließ Sich der Sohn kreuzigen. Aus der Liebe des Sohnes zu uns nahm Er das Kreuz auf Sich, und aus der Liebe des Hl. Geistes, besiegte Er den Tod durch Seine Kreuzigung. Das kann man nur durch Liebe verstehen.
Wenn man in der Familie oder Freundschaft, wo Liebe herrscht, um des anderen willen auf irgendeinen Genuss verzichtet, so teilt man etwas mit dem anderen. Darin liegt auch das Verständnis des Fastens. Außerdem hilft uns das Fasten, die verderbte menschliche Natur zu heilen, die nötige Ordnung herzustellen, die Gott gab. Das bedeutet, sich zuerst vom Wort Gottes zu ernähren und dann vom Brot. Brot ist zweifellos unabdingbar. Ohne Brot können wir nicht leben. Doch ihm gebührt der zweite Platz. So antwortete Christus dem Teufel, als dieser Ihn in der Wüste versuchte: "Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jeglichem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt". Vom Wort Gottes – d.h. von der Kommunikation mit Gott.
Ich erinnere mich eines Russen, der viel gelitten hatte, er war bei uns in der Fakultät Bibliothekar. Er hatte vier Jahre seines Lebens in Dachau verbracht. Dann nahm er einen serbischen Waisenjungen auf, erzog ihn und verheiratete ihn. Die Frau jagte den alten Mann aus dem Haus. Er starb dann in Armut. Er erzählte, dass man in Dachau auf dem Gesicht eines jeden sofort erkennen konnte, ob er lebendigen Kontakt mit Gott hatte. Da gab es keine Heuchelei. Er sagte mir über Berdjajev, dass dieser nach seiner Meinung niemals lebendigen Kontakt mit Gott hatte. Natürlich ist er eine tragische Figur, eine Art Märtyrer, deswegen kann man ihn nicht ablehnen. Doch er ist zu pretenziös, er kannte die Demut nicht und schimpfte sogar über sie. Vor Gott aber muss man sich demütigen. Nicht aus irgendeinem Minderwertigkeitskomplex. Hiob war krank, viel leidend, aber er war nicht "inferior" vor Gott, sondern er war demütig, und diese Demut verlieh ihm Freimut vor Gott. "Komm vom Himmel herab", sagte Ihm Hiob, und Gott stieg herab. Wir brauchen keine psychologischen oder sozialen Kategorien anzunehmen: Demut ist nicht Ohnmacht sondern eben Freimut, Kühnheit. Wenn ich zu euch, zu Vladyka Mark, gekommen bin und kein Geld mehr habe, so würde ich hier sterben, aber ich verlasse mich darauf, dass ihr mich nicht allein lasst, sondern mir zu essen gebt und mir helft. Das ist Kühnheit. Andernfalls würde ich nicht nur mich selbst, sondern auch euch unterschätzen. So beteten die Christen im Altertum – ein ägyptischer Mönch sagte: "Ich habe als Mensch gesündigt, Du aber als Gott erbarme Dich". Demut und Kühnheit gehören zusammen.
Alles gehört zusammen, von der Buße angefangen, aber die Buße setzt den Glauben voraus oder wird aus dem Glauben geboren. Der Glaube an Gott schließt die Buße sofort in mein Drama ein, in mein Problem, mein Leben. In keiner Weise kann ich mein Problem ohne Gott lösen. Das bedeutet – ich suche die Kommunikation. Und Gott zeigte durch Christus, dass Er die Kommunikation mit uns will. Seinen Sohn gab Er. Er liebte uns früher als wir Ihn liebten. Das heißt, Er sucht auch die Kommunikation. Das ist wirklich ein menschenliebender, aktiver Gott, Der von manchen Vätern als vorauslaufender, expansiver Eros bezeichnet wird. Damit wir in Seine Allmacht eintreten, tritt Er uns entgegen und begrenzt Sich dadurch in unser Maß, um uns aufzunehmen. Das bezeichnet man als Kenosis (Verarmung, Entäußerung). Wenn Er unmittelbar zu uns käme, so würden wir wie bei der Berührung mit der Sonne einfach vergehen. Doch Er verringerte Sich aus Liebe in der Suche nach Kommunikation. Er Selbst tut dies ohne jede Notwendigkeit, ohne Zwang, einfach: Er Selbst will es. Und das verleiht uns sofort Würde. Daher besitzen wir in unserer orthodoxen christlichen Tradition eine große Grundlage zur Kühnheit, zur Hoffnung auf Gott. Ich bin sündig, doch Gott ist größer als die Sünde. So sagte der Starez Tichon zu Stavrogin (über dessen “Beichte” in Dostojewskis “Dämonen” - Red.), dieser sei nur einen kleinen Schritt von der Heiligkeit entfernt. Und wirklich, der Mensch kann diesen einen Schritt tun, und begegnet Gott. Es gibt nichts Unmögliches. Dem Menschen ist es unmöglich, aber Gott ist es möglich. Gott trat in diese Verbindung mit uns ein, und Er wünscht nicht, dass wir unser Problem ohne Ihn lösen. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, denn Er gab Seinen Sohn. Das sind unsere Gründe für die Buße. Das ist nicht einfach eine moralische Belehrung des Menschen, dass man gut sein muss, Buße tun muss. Die Buße erneuert in uns die Grundlagen des christlichen Glaubens. Gott will unsere Rettung, Er sucht sie, dürstet nach ihr. Unsererseits ist es nur notwendig, zu wollen – dann können wir es, es gelingt, nur nicht von uns aus, sondern durch Gott.
Die Buße mit allen sie begleitenden christlichen Tugenden wie Beichte, Demut, Kühnheit, Hoffnung, Fasten, Gebet... die Buße ist schon der Vorgeschmack der Auferstehung, ja sogar der Anfang der Auferstehung. Das zweite wird nur das Resultat sein, das Ende bei der zweiten Wiederkehr Christi. Eine solche Erfahrung der Buße gibt es in keiner Religion, in keiner geistlichen Erfahrung, in keiner Mystik. Sogar im westlichen Christentum ist dieses Gefühl, dieses Ereignis leider fast völlig verlorengegangen.
Vater Justin erzählte uns, wie er im ersten Weltkrieg, von Anfang 1917 bis 1919 in Oxford studierte und ein anglikanischer englischer Mönch nach zweijähriger Freundschaft ihm sagte: ihr seid alle jung und fröhlich wie wir, aber eines habt ihr, was uns fehlt, als Kirche fehlt – das ist die Buße, die kennen wir nicht. Dem war vorausgegangen, sagte Vater Justin, dass er sich mit dem Engländer ernstlich gestritten hatte. Doch dann konnte er es nicht aushalten, ging zu ihm, und bat um Vergebung, warf sich ihm zu Füßen, und der Engländer nahm ihn an... Hier erkannte der Engländer, was Buße bedeutet.
Die heiligen Väter sprechen davon, dass man die Leidenschaften nicht aufblähen soll, ja niemandem auch nur “auf den Schatten treten”..., doch das ist nur bei wirklicher Demut möglich. Es muss mit Liebe geschehen, und kann nicht etwa einfach aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Zustand des Bruders geschehen. Gewöhnlich ist das nicht echte Demut oder Leidenschaftslosigkeit, sondern gehört einfach “zum guten Ton”, “bon ton”, Heuchelei, Offizielles, Überliefertes. Man soll sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen. Soll das Volk in Vietnam, in Jugoslawien oder Kuba nur sterben. Alles wird auf äußeren Anstand nivelliert. Wie Vater Justin zu sagen liebte, ist “Kultur” allzu oft nur “Politur”, und innen sitzt der Wurm. Natürlich soll man nicht aggressiv sein. Aber uns Orthodoxe hat Gott so durch die Geschichte geführt, dass wir immer unterdrückt waren und nicht ohne Probleme leben konnten. Doch die Anerkennung des status quo, des Anomalen als normal, ist nicht Christentum. Die Buße ist gerade der Protest gegen diesen anomalen Zustand. In der Familie gibt es Schwierigkeiten, in der Gemeinde, in der Diözese, im Staat, in der Welt, doch der Christ kann sich damit nicht abfinden. Er kämpft. Er beginnt jedoch mit sich selbst, denn die Buße ist Selbstbezichtigung, Selbsteinschränkung, wie Solschenizyn dies sogar für das Verhältnis von Staaten vorschlug, oder wie Tarkovski sagt –Scham, Scham als religiöser Begriff. Der Mensch kehrt in sich zurück und beginnt sich zu schämen. Am Ende des Films "Buße" von Abuladze kann man wahrhaft menschliche Buße sehen: der Mensch beginnt, sich seiner Taten zu schämen, und sofort tritt die Entschlossenheit hervor, dies zu verändern. In orthodoxen Ländern – Russland, Serbien, Griechenland – begegnet man der Buße als einem Thema, sogar in der Literatur. Bei uns erschien vor kurzem ein Roman "Buße", in dem es um das Verhältnis von Serben, Moslems und Katholiken in Bosnien geht. Im Roman empfinden gerade die orthodoxen Serben die Buße. Sie sprechen nicht nur davon, sondern tun Buße. Gott sei Dank, das heißt, dass wir Sünder sind. Das ist kein Stolz, wir klopfen uns nicht auf die Schulter, es geht darum, dass wir nicht bereit sind, uns mit den Gegebenheiten abzufinden, mit dieser Situation, weder mit der eigenen, noch der der anderen.
Vater Justin bezeichnete das als echte revolutionäre Stimmung der Christen gegen die Sünde, gegen das Böse, gegen den Teufel, gegen den Tod. Aufbegehren des Menschen gegen ein falsches Selbst, gegen das Falsche und Verlogene im Anderen, in der Religion aber – das Aufbegehren gegen falsche Gottheiten und der Kampf um den wahren Gott. Die Buße fordert eine wahrhaftige Sicht der Welt, Gottes, des Menschen, sie sucht unbedingt den wahren Glauben.
Mich erschüttert, wie jetzt in Russland so viele junge Menschen zu Gott, zur Orthodoxie zurückkehren. Bei uns ist das auch so. Das bedeutet nicht einfach, dass sie den Glauben an irgendeine Gottheit finden wollen, den Atheismus abschütteln und irgendeine Mystik entdecken. Nein, sie finden den wahren lebendigen Gott, gliedern sich umgehend in das echte Leben der Kirche ein. Kürzlich las ich einen guten Aufsatz von Vladimir Zelinskij "Die Zeit der Kirche". Man sieht, wie dieser Mensch Gott fand, Christus fand, die Kirche fand. Wenn jemand einfach irgendwie bereut und egal welcher Kirche zugehörig leben will, dann bezweifle ich die Echtheit sogar dieser ursprünglichen Buße. Das ist wohl metamelia, nicht aber metanoia. Das ist dann keine echte Wiederherstellung des Lebens. Deswegen standen ja die Väter einst so eifrig für den Glauben ein.
Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass die Liebe das allererste Dogma unseres Glaubens ist. Die Liebe – das ist das wahre Kreuz. Doch ihr sollt die Liebe nicht fürchten, wenn sie ans Kreuz führt. Vergesst niemals, dass die Liebe, wenn sie ans Kreuz geschlagen ist, dennoch Liebe bleibt. Wenn Christus nicht gesagt hätte: "Vater, vergib ihnen!", dann wäre Er nicht der Christus gewesen, glaubt mir das: Er wäre ein Held gewesen, ein idealer Mensch, aber nicht der wahre Christus-Erretter. Bei Dostojewski im "Großinquisitor" küsst Christus am Ende sogar den Inquisitor. Das ist keine Sentimentalität, keine Romantik, das ist wahre Liebe, die keine Furcht kennt. Deshalb empfinden wir Orthodoxen immer, dass unsere Kraft und Unbesiegbarkeit nicht in uns selbst liegt, sondern in der Echtheit dessen, was wir suchen, wonach wir streben und dürsten, woran wir glauben, und wofür wir leben.
In der Buße, so muss man das verstehen, ist Gott jenseits unseres Guten und unseres Bösen. Wir dürfen uns weder mit unseren bösen, noch mit unseren guten Taten identifizieren. Wir dürfen nicht denken, dass wir uns durch unsere guten Werke absichern können. Nur auf Gott sollen wir hoffen. Doch genauso sollen wir auch glauben, dass auch die bösen Werke, selbst wenn ich sie verurteile und von mir weise, mich ebenso nicht von meinem Gott trennen können. Die Russen neigen dazu, ihre Sündhaftigkeit zu übertreiben, daran zu ersticken und in den Sünden unterzugehen wie in einem Abgrund. Das ist auch so eine Art mangelndes Vertrauen zu Gott. Die Übertreibung der eigenen Sünden ist eine Art Abwertung Gottes. Ebenso umgekehrt kann Gott zu einem Lügner gemacht werden: Er sandte Seinen Sohn, um uns zu retten, wir aber würden sagen: “Nein – gar nicht nötig, ich habe keine Sünden”... Christus rettet umsonst! Hier gibt es von unserer Seite kein Entgelt oder Wiedergutmachung.
Doch wir müssen vollends erkennen, dass die Sünde Sünde ist, dass sie etwas Bösartiges ist, dass sie verlogen ist, und dass sie der Feind des Menschen ist. Die vollgültige Buße in der Orthodoxie ist mutig, keineswegs sentimental. Der Mensch erhebt sich zum Kampf. Die hll. Väter sagen, dass der Mensch die Gabe des Zornes hat, ja der Wut, und dass dies eine Gottesgabe ist. So wie die Gabe, die Fähigkeit Nahrung aufzunehmen. Doch aus der Gabe der Nahrung kann umgehend die Fresssucht, die Leidenschaft zum Essen erwachsen. Genauso ist es mit dem Zorn. In ihm steckt Bewegung, Dynamik. Tugendmuss angreifend, aktiv sein, nicht passiv. Doch wenn sie entstellt wird, kann sie zur Tyrannei für andere werden, sich in Agression verwandeln. Aber wir sollen dynamisch sein. Unbedingt! Man soll das Böse bekämpfen. Die orthodoxe Buße besitzt diesen Zorn, diese “Wut”.
Der hl. Demetrios spornte den jungen Christen an, den bösartigen Gladiator Lyäos zu besiegen, umzubringen. Wir besingen diesen Mut in der Kirche. Das war echter rettungbringender Zorn. Es ist die Kraft, auf eigenen Beinen zu stehen. Als Hiob klagte, tröstete ihn Gott nicht, sondern forderte ihn auf, sich hinzustellen und sich unterzuordnen: [“Umgürte deine Lenden wie ein Held!” (Jb 38:3; 40:7). – Red.] Und das richtete den Hiob auf.
Man erzählte mir, dass einer der ältesten Mönche im Kloster Meteora, Vater Varlaam, einen Schlaganfall erlitt. Das geschah während der nachmittäglichen Ruhe. Er liegt da und sieht plötzlich, dass alles um ihn herum rot wird. Er versucht aufzustehen vom Bett, kann es aber nicht. Und plötzlich kommt aus der Tiefe seiner Seele der Gedanke: “ Ich sterbe, aber ich habe nicht gebeichtet und die Kommunion nicht empfangen! So viele Jahre bin ich Mönch, und sterbe ohne Kommunion?” Er weiß nicht einmal wie er die Tür fand, mit welcher Kraft er sich da erhoben hatte. Gott half: der Abt trat gerade in den Gang und sah ihn, in diesem Zustand. Und der Mönch, Vater Varlaam schreit: “Was guckst Du? Kommunion!” Der Abt verstand sofort... Nach der Kommunion lebte er noch weiter. Ja, das ist die Kraft dieser “Wut”! Du stirbst? Na und? Deswegen sollst du etwa ohne Kommunion bleiben?
Die Orthodoxie hat das asketisch-kämpferische Ethos bewahrt. Wir dulden Niederlagen und werden nicht verbittert, aber auch nicht gleichgültig gegenüber anderen. Ich kann nicht gleichgültig bleiben. Als Christ kann ich mir nicht erlauben zu hassen, weil der Hass eine Flucht ist vor der christlichen Verantwortung.
So passiert es zuweilen in den Gemeinden. Jemand meint, dass ein anderer ihn hasst, und damit stellt er sich ein Alibi aus, um nicht mit ihm zu verkehren. Doch man muss versuchen, die Verbindung aufzunehmen, das Problem des Nächsten als eigenes Problem aufzustellen. Und Mitleid haben muss man nicht aus Stolz, sondern aus wirklichem Mitgefühl.
Das Christentum ist nicht “Apathie” (Leidenschaftslosigkeit), in dem Sinn, wie sie die alten Stoiker verstanden. Der hl. Gregorios Palamas hat den Unterschied zum Verständnis der Stoiker von “Apathia” der heiligen Leidenschaftslosigkeit in der Askese klar gezeigt. Es geht nicht darum uns abzutöten, sondern müssen in uns den Dienst am Bösen töten, an der Sünde, dies – um Gott zu dienen. Das Leben ist kein Nirvana. Das Leben ist Kommunikation, Lobpreis Gottes, Aufsteigen, Heranwachsen. Deshalb ist die Buße wirksam, wenn sie aktiv geschieht, wenn sie den Menschen auferweckt, er sich sofort aufgerufen fühlt zum Tun.
Vielleicht kann man einen Vergleich zwischen dem hl. Isaak d. Syrer und dem hl. Simeon dem Neuen Theologen anstellen. Der hl. Isaak ist finsterer, trauriger. Der hl. Simeon dagegen ist ganz Freude, Dynamik. Diese traurigere, verdrießlichere Seite drückt eher den Westen aus, die hl. Clara oder Johannes vom Kreuz. Wenn die Gnade Gottes sie verlässt, geraten sie in Verzweiflung. In der Orthodoxie ist das nicht so. Hier sagt man: Gott hat mich heimgesucht, hat mir Seine Gnade gegeben, aber jetzt will Er mich emporführen.
Auf dem Athos leben große Asketen, die jeglicher Genüsse des Lebens entbehren, deren Gesichter jedoch immer fröhlich sind. Und alle haben sie etwas Besonderes, Einmaliges an sich, weil je-der ein lebendiges Leben lebt.
Die Buße erweckt im Menschen so eine Art guten “Ehrgeiz”. Erinnern wir uns an den verlorenen Sohn: Bin ich etwa, der Sohn eines solchen Vaters, dazu geschaffen, in der Fremde Schweine zu hüten? Nein! Ich gehe zu meinem Vater...
Buße, Gebet, Fasten, Beichte – all das ist in eigener Weise spontan. Und wie die alten Väter sagten: Täglich muss man völlig aufs Neue beginnen.
[1]Aus dem “Boten” (1989):
Der vorliegende Artikel zum Thema “Buße” stellt die Wiedergabe eines Vortrags von Vater Atanasije auf dem Jugendtreffen 1988 dar. Er wurde nach einer Tonbandaufzeichnung niedergeschrieben und vom Autor nicht überprüft. Wir wollten bewusst möglichst weitgehend die Lebendigkeit des gesprochenen Wortes bewahren, ebenso einige Beispiele und Vergleiche, die in einem wissenschaftlichen Aufsatz nicht am Platze wären, hier aber zum Verständnis beitragen. Wir sind davon überzeugt, dass dieser wohl umfangreiche, aber doch leicht verständliche Artikel unseren Lesern eine Einstimmung in die Fastenzeit vermittelt.
Der Autor, Protosingelos Atanasije Jevtic, ist Professor für Kirchengeschichte und Patristik an der Theologischen Fakultät der Serbischen Orthodoxen Kirche in Belgrad und war bereits früher verschiedentlich Gast unserer Diözese. - Red. (im Jahr 1989)
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