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Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit oder doch Dreiheit? Gedanken zur Übersetzung orthodoxer Gebetstexte

Aktualisiert: 6. Apr. 2023

Von Bischof Hiob von Stuttgart

Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit oder doch Dreiheit? Eine Neuübersetzung des Vaterunsers? Und worin liegt der Unterschied zwischen Schuld und Schulden?

Deutsche Übersetzungen orthodoxer Gebete und liturgischer Texte gibt es seit über einem Jahrhundert. Um die Gebetstexte zu vereinheitlichen und eine spezifisch orthodoxe Übersetzung zu erarbeiten, hat die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD) vor rund zwanzig Jahren eine Übersetzungskommission gegründet. Wir wollen im Folgenden einige ihrer Übersetzungen erläutern und setzen uns dabei mit zentralen Begriffen der orthodoxen Theologie und Frömmigkeit auseinander.

Die Gebetstexte sind oft poetisch und sogar rhythmisch verfasst. Das bedeutet, dass die Übersetzungen nicht nur theologisch richtig sein, sondern auch schön klingen müssen. Dieser Spagat ist nicht einfach, und jede Übersetzung muss Kompromisse eingehen.

Die Übersetzungskommission achtet nicht nur darauf, theologisch und philologisch sauber und in sich konsistent, sondern auch möglichst wortkonkordant zu arbeiten, d.h. dasselbe griechische Wort stets mit demselben deutschen Wort zu übersetzen. Dabei wurden manche deutschen Begriffe umgeprägt, oder seltene oder alte Worte verwendet. Manche etablierte deutsche Übersetzungen weichen stark vom Original ab, wie zum Beispiel die Übersetzung „Dreifaltigkeit“ für das Griechische trias; andere sind durch die westliche Geistesgeschichte so belastet, dass sie ersetzt werden mussten, so der irreführende Begriff „Keuschheit“ für das griechische sophrosyne.

Die neue Übersetzung des Vaterunsers hat für viel Diskussion gesorgt. Sie beginnt folgendermaßen:

„Vater unser, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name, Dein Königtum komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“

Der Himmel ist hier in den Plural gesetzt, gemäß dem hebräischen Wort hashamajim, den auch das Griechische an dieser Stelle verwendet en tois ouranois (ἐν τοῖς οὐρανοῖς). Durch den Plural wird verdeutlicht, dass hier nicht vom physischen Wolkenhimmel die Rede ist, sondern von der ganzen Weite des Über-Irdischen. Die sog. ökumenische Übersetzung des Vaterunsers hat diese sprachliche Besonderheit vereinfacht und wegübersetzt.

Über die Übersetzung „Königtum“ wurde in und außerhalb der Übersetzungskommission ausführlich diskutiert. Im griechischen Original steht hier das Wort vasileia (βασιλεία), das sich von vasilevs – „König“, oder vasilein – „herrschen“, „König sein“, ableitet. Ähnlich steht an anderen Stellen der hebräischen Bibel malkuth von melekh – „König“. Indem wir im Vaterunser um das „Königtum“ Gottes bitten, bitten wir um die Realisierung Seiner Herrschaft. „Reich“ („dein Reich komme“) hingegen impliziert eher ein geographisches Gebiet oder eine Verfassungsform. Die Verbindung zum „König“ wird übrigens in den meisten Sprachen beibehalten: im Lateinischen regnum tuum – von rex (und nicht imperium); in den slawischen Sprachen carstvo (царство) – von car (царь), im Englischen kingdom von king usw.

„Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden. Unser notwendiges Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Martin Luther prägte die Übersetzung „unser täglich Brot gib uns heute“. Diese Übersetzung ist insofern begründet, als das griechische Wort epiousion (ἐπιούσιον) auch die Tagesration eines Soldaten beschreiben kann. Aber wörtlich bedeutet es – „das zum Leben“, oder sogar „zum Sein notwendige“.

Auch der Plural „Schulden“ statt „vergib uns unsere Schuld“ stößt Deutschen mitunter auf: es gibt im deutschen Sprachgefühl einen deutlichen Unterschied zwischen der Schuld, die jemand auf sich lädt, und den Schulden, die man macht, begleicht etc. Der deutsche Schuldbegriff hängt mit der lateinischen culpa zusammen, die eine moralisch-juristische Schuld bedeutet, z.B. die Schuld oder Urheberschaft an einem Verbrechen. Der griechische Begriff to opheilēma, der hier im Plural steht (τα ὀφειλήματα), kommt aus einem eher wirtschaftlichen Kontext von Geld- oder Sachschulden[1], d.h. es geht weniger um ein moralisches Schuldigsein, als vielmehr um eine Art von Schulden, die gemacht, beglichen oder erlassen werden können. Schulden und Kredite halten unsere Welt auch heute in Atem; der Mensch, ganz zu schweigen von ganzen Gesellschaften, ist mitunter so eingenommen vom Berechnen und Begleichen seiner Schulden, dass es großer Entschlossenheit bedarf, sich von diesem Druck zu befreien. Deshalb können wir auch im nächsten Halbsatz des Vaterunsers sagen: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Der Akzent im Herrengebet liegt also weniger auf einer moralischen Rechtfertigung, sondern auf der Befreiung von inneren und äußeren Abhängigkeiten.

Schließlich sei bemerkt: Das Vaterunser wurde von vielen Kirchenvätern und modernen Theologen auf verschiedene Weise ausgelegt. Die Übersetzung der Kommission versucht, dieser Rezeptionsgeschichte Rechnung zu tragen und die Schwierigkeiten des Textes nicht wegzuübersetzen.

Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe zentraler theologischer Begriffe, bei denen neue Wege beschritten wurden.
Der griechischen Begriff Trias, lateinisch Trinitas, wurde mit „Dreiheit“ übersetzt, d.h. wörtlich übertragen, wie es auch in den meisten anderen Sprachen gehandhabt wurde: slawisch Троица, englisch Trinity, französisch Trinité, rumänisch Treime usw.
 Die meisten europäischen Sprachen hatten es leichter als die deutsche, weil sie das lateinische Lehnwort verwenden konnten. Im Deutschen hingegen wurden seit dem 18. Jahrhundert lateinische Begriffe bewusst durch germanische Wörter oder durch Neuschöpfungen verdrängt und ersetzt. Die deutsche Sprache ist davon bis heute so geprägt, dass lateinische Begriffe als künstliche, akademisch-philosophische Fremdwörter wahrgenommen werden und nicht zu einer Gebetssprache passen.
 Andere Übersetzungen, wie Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit, sind umschreibende Wortschöpfungen, die eher irreführend sind und am eigentlichen Begriff vorbei gehen.

Ein weiterer Begriff, der auf den ersten Blick befremdlich erscheint, findet sich in der Übersetzung des griechischen monogenés (μονογενής). Bisher wurde es meistens als „eingeboren“ wiedergegeben, während die Übersetzungskommission konsequent „einziggezeugt“ verwendet (z.B. im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube… an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes einziggezeugten Sohn“). Das griechische Wort setzt sich zusammen aus monos – ein und gignomai – sein/ werden. Monogenes bedeutet also wörtlich „der, der ein einziger ist“, „ein einziger seiner Art“, „ein Unikum“[2]. Es steckt aber auch das Wort gennō - zeugen, gebären, zur Welt bringen darin, so dass das Wort auch in der Bibel gerade für „einzige Söhne“ verwendet wird (so werden z.B. der einzige Sohn der Witwe von Nain (Lk. 7,12) oder Isaak, der einzige rechtmäßige Sohn Abrahams (Heb. 11,17), jeweils als monogenes bezeichnet). Im Johannesevangelium und an anderen Stellen wird Christus mehrmals als monogenes tou patros – „einziggezeugter des Vaters“ bezeichnet. Unter den frühen christlichen Theologen sorgte der Begriff durchaus für große Diskussionen und Verwirrung, die so weit gingen, dass Arius – ein ambitionierter Priester aus Alexandrien, nach dessen häretischer Theologie die Arianer bezeichnet sind – Jesus Christus nicht als Sohn Gottes, sondern einfach als „einzigen seiner Art“, d.h. als einzigartiges Geschöpf Gottes verstehen wollte[3]. Doch dem widersprechen die Bibeltexte, indem sie explizit vom monogenes hyios, also vom „einzig-geborenen“ oder „einziggezeugten“ Sohn sprechen.
 Die Übersetzungskommission der OBKD hält durch den Begriff „einziggezeugt“ also bewusst an diesem Aspekt fest. Zweitens entschied sie sich für den Begriff „Zeugung“, und nicht „Geburt“, weil im Deutschen kaum die Rede davon sein kann, dass ein Vater sein Kind gebar, durchaus aber davon, dass er seinen Sohn zeugte.

Umgekehrt wird Theotokos (Θεοτόκος) mit „Gottesgebärerin“ übersetzt: von theos - Gott und tokao - gebären. Auch um diesen Begriff wurde im frühen Christentum gerungen, denn es ging darum auszudrücken, dass Maria Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Gottmenschen zur Welt brachte und nicht etwa einen von Gott gesegneten, aber gewöhnlichen Menschen. Den für das deutsche Ohr gewohnten Begriff Gottesmutter gibt es im Griechischen auch – theomētor oder mēter theou. Aber er bringt diese zentrale Botschaft des Evangeliums, dass Gott Mensch und von einer Jungfrau geboren wurde, nicht so prägnant zum Ausdruck. Dort, wo er im Griechischen steht, wird er von der Übersetzungskommission natürlich als „Gottesmutter“ übersetzt.

Eine andere Gruppe bilden wichtige Begriffe der orthodoxen Askese und Anthropologie.

Das gewichtige griechische Wort metanoia (μετάνοια) setzt sich zusammen aus meta - noeo, und heißt so viel wie „um-geisten“, „den Geist umwandeln, umwenden“, „im Geiste umkehren“, „eine neue Gesinnung an den Tag legen“. Er spielt für die Predigt eine entscheidende Rolle: Johannes der Täufer und Jesus Christus selbst beginnen ihre Predigt mit dem Aufruf metanoeite, also „tut Buße“ oder „kehrt um, denn das Himmelreich ist nahegekommen“. Der Aufruf zur beständigen geistigen Umkehr und Rückbesinnung auf Gott bildet die Grundlage des geistigen Lebens.

In der deutschen Sprache kann dieses Konzept nicht mit einem einzigen Begriff ausgedrückt werden. Die zwei Wörter, die verwendet werden – Buße und Reue – treffen es nicht ganz; hier müssen wir darauf bauen, dass sie durch ihre Verwendung in den Gebetstexten neu geprägt werden.

Das Wort Meta-noia bringt uns zum Nous – einem wichtigen Begriff für die theologische Anthropologie. In der philosophischen Fachliteratur wird er mitunter unübersetzt verwendet, ansonsten meist mit Geist übersetzt, z.B. wenn die Rede ist von Körper, Seele und Geist des Menschen. „Geist“ ist aber auch der Heilige Geist - Hagion Pneuma (Ἅγιον Πνεῦμα). Um diese Verwechslung bzw. Unschärfe der deutschen Sprache zu vermeiden, übersetzt die Übersetzungskommission nous als „Geistkraft“. Das trifft die Bedeutung des griechischen Begriffs, denn es geht um eine Fähigkeit, gewissermaßen ein Organ des Menschen, das „Auge der Seele“, wie Christus es nannte (vgl. Mt. 6,22).

Ein für die asketische Literatur zentraler Begriff ist die sophrosyne (σωφροσύνη), die traditionell als „Keuschheit“ übersetzt wird. In seiner mittelhochdeutschen Bedeutung war „keusch“ oder „Keuschheit“ tatsächlich ein weit gefasster Begriff: er kommt vom lateinischen con-scire oder conscius, d.h. „bewusst“, „besonnen“. In der modernen deutschen Sprache hat sich Keuschheit eingeengt auf die körperlich-geschlechtliche Enthaltsamkeit. Unter sophrosyne ist jedoch sehr viel mehr zu verstehen: bestehend aus sōos (σώος) – „ganz“, „heil“, „gesund“ und frēn (φρήν) – „Haltung“, „Gesinnung“ ist sophrosyne eine „ganzheitliche, heile Gesinnung“. Das Kirchenslawische hat hier wortwörtlich übersetzt mit celo-mudrie (цело-мудрие). Der deutsche Begriff Besonnenheit, den die Übersetzungskommission verwendet hat, versucht diese Bedeutung zum Ausdruck zu bringen.

Die orthodoxe Kirche ist insbesondere eine betende und lobpreisende Kirche. Am Anfang jeder Gebetshandlung sprechen wir: „Ehre Dir, o Gott, ehre Dir“, immer wieder sagen wir „Ehre dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“. Warum lassen wir hier das Verb weg? Diese und ähnliche doxologische Formeln bringen die Gleichzeitigkeit aus Tatsache – „Ehre ist [bei] Gott“ – und Absicht – „Ehre sei Gott“ – zum Ausdruck. Wir kennen elliptische Sätze ja auch im Deutschen, wenn wir z.B. sagen: „Ehre, wem Ehre gebührt“.

Die meisten Gebete enden mit der Formel „in die Ewigkeit der Ewigkeit“. Auch hier gab es in der Vergangenheit verschiedene Übersetzungen: „in alle Ewigkeit“, „in die Äonen der Äonen“, „in die Ewigkeiten der Ewigkeiten“. In der Übersetzungskommission wurde ausführlich über die beste Ausdrucksweise nachgedacht und diskutiert. Die mystagogische und apophatische Formulierung sollte ins Deutsche übertragen und nicht einfach glattgebügelt werden, zugleich wollte man fremdsprachliche Begriffe wie „Äonen“ oder „Ewen“ vermeiden. Im Original und in den meisten Übersetzungen stehen zwei Plurale: eis tous aiōnas tōn aiōnōn (εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων), in saecula saeculoroum, unto the ages of ages, vo veki vekov (во веки веков) usw. Dieser Plural, „Ewigkeiten der Ewigkeiten“, ist im Deutschen sehr sperrig und kaum singbar. Der griechische Begriff aion spricht von Zeiträumen, Weltzeiten oder Zeitaltern (so wurde er an einigen wenigen Stellen auch übersetzt), ist aber in der theologischen, christlichen Sprache etwas gewandelt. Dem müssen wir Rechenschaft tragen. So blieb es bei „in die Ewigkeit der Ewigkeit“.

Übrigens ist auch der Begriff „segnen“ interessant. Das griechische eulogein (εὐλογεῖν) bzw. das hebräische baruch kann sowohl nach unten als auch nach oben gerichtet sein: Gott segnet den Menschen, doch auch der Mensch kann Gott segnen. Weil es auf deutsch scheinbar anmaßend klingt, dass wir Gott segnen oder ausrufen „gesegnet sei Gott“, gab es alte Übersetzungen wie „gebenedeit sei Gott“; heute wird der Begriff oft ersetzt durch „gepriesen“. Doch „preisen“ ist ein anderes Wort, eine andere Handlung. Eu-logein heißt wörtlich „gut-sprechen“, „Gutes sagen“, „segnen“, und wird in der altgriechischen Literatur auch explizit als Gegenteil von „verfluchen“ verwendet. In diesem Begriff spiegelt sich die Vorstellung wider, dass gute wie böse Worte bzw. Wünsche allein durch das Aussprechen eine Wirkung haben.

Unsere kurzen Ausführungen zeigen, wie eng Sprache und Theologie miteinander zusammenhängen, wie fein die Ausdrucksweise der orthodoxen Theologie ist. Manche der Begriffe, die hier besprochen wurden, sind, zugegeben, kontraintuitiv und gewöhnungsbedürftig. Vielleicht stellen die Übersetzungskommission und die Bischofskonferenz in einigen Jahren fest, dass manche Begriffe sich nicht durchsetzen und revidiert werden müssen. Insofern ist diese Übersetzung ein Angebot. Doch wir hoffen, dass die Gläubigen dieser Übersetzung eine echte Chance geben und sie ernsthaft prüfen.

In diesem Sinne: εἰρήνη ὑμῖν –שָׁלוֹם עֲלֵיכֶם - Friede sei mit euch.

 

[1] Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. Überarbeitete Auflage herausgegeben von Kurt und Barbara Aland, 1988, Sp. 1210-11 [2] Vgl. Liddell and Scott. An Intermediate Greek-English Lexicon. Oxford 1889 [3] Vgl. Peter L. Hofrichter, Eingeboren oder Einzig? Zur Übersetzung und Bedeutung des christologischen Titels „monogenes“, in: H. Paarhammer – F.-M. Schmölz (Hg.). UNI TRINOQUE DOMINO, Thaur 1989, 109 bes. Anm. 6



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