Erklärung des Bischofssynods bezüglich der Wiederkehr ideologischer Ansätze des 20. Jahrhunderts in Russland
- Der Bote
- 13. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Der Bischofssynod der Russischen Kirche im Ausland erhebt seine Stimme diesmal aus bitterer Notwendigkeit heraus. Während sich die Krise und internationale Spannungen verschärfen, werden der russische Staat und die russische Gesellschaft auf einen äußerst gefährlichen Weg gedrängt. Anstatt sich um christliche Umkehr und geistliche Reinigung zu bemühen, sehen wir in bestimmten Kreisen eine Rückkehr zu jener verlogenen und gottesfeindlichen Ideologie, die im letzten Jahrhundert dominierte. Sollte dies so weitergehen, so befüchten wir, Russland werde - anstelle ein Leuchtfeuer orthodoxer Wahrheit zu sein, wozu es durch seine lange Geschichte christlicher Frömmigkeit berufen ist - zu einem finsteren Schandfleck unter den Nationen werden.
Im Jahr 1981 verherrlichte die Russische Auslandskirche [ROKA] die gesamte Schar der heiligen Neumärtyrer und Bekenner Russlands. Später zog das Moskauer Patriarchat nach, nachdem es im zwanzigsten Jahrhundert einen schwierigen Weg zurückgelegt hatte. In jüngster Zeit ist in Russland jedoch ein Wandel im offiziellen Umgang mit der Geschichte zu beobachten. Die „Konzeption der staatlichen Politik hinsichtlich der Erinnerungskultur von Opfern politischer Repressionen“, die sich auf die während der kommunistischen Herrschaft strafrechtlich Verurteilten bezieht, ist im Jahr 2024 überarbeitet worden.[1] Im Vergleich zur vorherigen Version (2015[2]) lassen sich signifikante Änderungen feststellen, die die orthodoxen Gläubigen alarmieren müssen, da sie eine offenkundige Tendenz aufweisen, die Verbrechen der gottesfeindlichen Obrigkeit im zwanzigsten Jahrhundert zu verharmlosen. Auf der letzten regulären Sitzung des „Kirchlich-gesellschaftlichen Rates unter dem Patriarchen von Moskau und ganz Russland zur Pflege ewigen Gedenkens an die Neumärtyrer und Bekenner der Kirche Russlands“[3] berichtete ein Vertreter des Staates über die neue Fassung der „Konzeption“. Daraufhin verwies der Vertreter der ROKA sowohl auf hier entstehenden schwerwiegenden Probleme, als auch auf die damit verbundene Dynamik. Wir sind der Meinung, diesem Mahnruf jetzt unsere synodale Unterstützung zu verleihen ist.
Statt nüchtern über das Wesen des verbrecherischen Regimes zu reflektieren, das Russland im Laufe der Jahrzehnte zahllose Opfer gekostet hat, statt die Erinnerung der Menschen an die Tragödie, die ihnen widerfahren ist, zu vertiefen (wofür sich der „Rat“ aktiv einsetzt), wirft die neue „Konzeption“ zurück, beschneidet dieses geistlich bedeutsame Thema. Die bisherige Konzeption hatte den Weg der Umkehr in vielen Fragen eröffnet. Die neue verschließt ihn. Dies ist mit einem Totschweigen und Verdrehen der Geschichte verbunden.
In der Praxis zeigt sich dieses Denken nirgendwo deutlicher als in der schreckenserregenden Errichtung von Denkmälern für die Verbrechergestalten Stalin[4] und Dserschinski[5], die unlängst in Moskau – scheinbar in öffentlicher Verehrung – errichtet wurden, Denkmäler für Personen, deren unmenschliche und antichristliche Grausamkeiten zu den schlimmsten des zwanzigsten Jahrhunderts gezählt werden können. Im selben Geist wurde jüngst angekündigt, dass das götzendienerische Mausoleum auf dem Roten Platz mitnichten abgerissen, sondern vielmehr restauriert werden soll.[6] Es ist derselbe Ansatz, der dazu führt, dass die Rehabilitierung von Personen, die unter den Kommunisten zu Unrecht verurteilt wurden, nun aufgehoben wird. Die Beispiele, über die wir verfügen, zeigen den Gang der Dinge: Die gerechten Rehabilitierungsverfahren der 1990er Jahre werden durch bloße Bestätigung stalinistischer Strafurteile für unrechtmäßig erklärt, ohne dass neue Erkenntnisse vorliegen, ohne kritische Prüfung.[7] Einigen Berichten zufolge gibt es bereits tausende solcher Fälle.[8] Diese Vorgehensweise hält keiner juristischen Kritik stand. Vom Sowjetregime verleumdete Menschen, die zu Recht rehabilitiert wurden, werden erneut im Lügenmeer einer totalitären Zeit ertränkt – darunter auch Geistliche, deren würdiges Andenken zu Unrecht entehrt wird.[9] Überdies werden die Akten einer erfolgten Ent-Rehabilitierung umgehend klassifiziert – ein weiteres alarmierendes Signal und Echo einer gottesfeindlichen Epoche. In den Worten des Herrn Jesus Christus: "Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind" (Joh 3,19).

Allzu gut kennen wir das Schicksal des Kirchenvolks, welches durch die Revolution und später den Krieg ins Ausland getrieben wurde. Diese Menschen sind unsere Vorfahren. Wir kennen die Komplexität und die Tragödie jener Zeit, jenes Jahrhunderts. Jahrzehntelang haben wir die Verleumdungen eines gottwidrigen Regimes zu spüren bekommen. Doch haben wir uns nicht um unserer selbst willen gefreut, als endlich die Wahrheit zutage trat – so manches Mal eine bittere –, sondern weil wir wussten und wissen, dass der Geist der Lüge tötet, und endlich wurde er überwunden. Wir wollen nicht, dass Russland sich ihm erneut unterwirft.
Ein weiteres Exempel dieser Geisteshaltung zeigte sich uns, als ein namhafter Professor, in Russland von vielen respektiert, in den Massenmedien erklärte, dass es Zar Nikolaus II. war, der Russland ruiniert und in den Krieg geführt hat.[10] Mag dies seine persönliche Meinung sein, die ganz im Einklang mit der bolschewistischen Propaganda des frühen zwanzigsten Jahrhunderts steht. Für diejenigen aber, die wissen, wie sich der Mord in Jekaterinburg abgespielt hat, wie unheilvoll klingen diese seine Worte: „Ich hätte ihn eigenhändig erschossen“! Wird doch immer häufiger die geistliche Erneuerung und jene Wahrheiten, die die Kirche durch die Verherrlichung der Neumärtyrer und Bekenner gewonnen hat, zurückgewiesen und durch die Lügen des vergangenen Jahrhunderts ersetzt. Wir bedauern, dass das Moskauer Patriarchat trotz der Ergebnisse der Kommission über die Echtheit der Reliquien der Zarenfamilie und ihrer Diener noch immer nicht in der Lage ist, sich in dieser Frage zu positionieren.
Wir erheben daher unsere Stimme, um auf jene schwere Herausforderung, die sich den orthodoxen Nationen darstellt, zu reagieren, und sind bereit, unsere Hilfe anzubieten und Unterstützung im Gebet, damit diesen Tendenzen entgegengetreten wird, wo immer sie sich auch finden mögen. Wir appellieren an alle, sich ihrer Geschichte bewusst zu werden, sowohl außerhalb als auch innerhalb Russlands selbst. Christen müssen mit offenen Augen leben und dürfen sich nicht von Täuschungen blenden lassen; Christen müssen den Weg der Freiheit und des Lichts beschreiten, indem sie eindeutig die Finsternis der Vergangenheit ablehnen und sich in keiner Form an ihrer Wiederbelebung und Verherrlichung beteiligen. Seit mehr als hundert Jahren hat die Auslandskirche es als ihre Pflicht angesehen, inmitten dieser Welt frei von jedweder Verbindung zu einem Staat, einer Partei oder einer weltlichen Ideologie zu agieren und die einfache und reine Wahrheit der Heiligen Orthodoxie furchtlos zu verkünden. Diese Mission ist in den 2020er Jahren offensichtlich genauso notwendig wie in den 1920er Jahren, und wir rufen daher alle unsere orthodoxen Brüder in allen Ländern auf, derartigen rückgewandten Bestrebungen zu widerstehen, die Irrtümer zu korrigieren, welche von jenem Geist in der Vergangenheit verursacht wurden, und konsequent am Evangelium festzuhalten, in dem die Rettung der Welt liegt.
Am 06.06.2025 publiziert. In Russisch: https://synod.com/synod/2025/20250605_synodstatement.html. In Englisch: https://synod.com/synod/eng2025/20250605_ensynodstatement.html
[1] Die von der Regierung der Russischen Föderation im Jahr 2024 beschlossenen Änderungen der Konzeption sind auf dem Rechtsinformationsportal https://www.garant.ru/products/ipo/prime/doc/409134394/ verfügbar.
[2] Die Version der Konzeption aus dem Jahr 2015 ist abrufbar unter: http://www.president-sovet.ru/docs/normative_initiatives/kontseptsiya_gosudarstvennoy_politiki_po_uvekovecheniyu_pamyati_zhertv_politicheskikh_repressiy/.
[3] Siehe: https://www.patriarchia.ru/db/text/2674769.html. Bezogen auf die Sitzung vom 6. November 2024.
[4] Zum Stalin-Denkmal, das jüngst (im Jahr 2025) in der Moskauer Metro (U-Bahn) aufgestellt wurde, siehe: https:// www.nytimes.com/2025/05/28/world/europe/stalin-image-moscow-subway.html?smid=url-share; und https:// www.bbc.co.uk/news/videos/cz63n6j7407o.
[5] Zur Wiederherstellung des Denkmals für Dserschinski (dem Architekten des Roten Terrors), welches vor dem Lubjanka-Gefängnis errichtet, 1991 abgetragen und 2023 vor dem Gebäude des Auslandsgeheimdienstes wieder aufgestellt wurde, siehe: https://www.theguardian.com/world/2023/sep/11/monument-to-founder-of-soviet-secret-police- unveiled-in-moscow.
[6] Zu den Plänen hinsichtlich der Restaurierung des Mausoleums siehe: https://novayagazeta.ru/articles/2025/05/29/minkultury-zakazalo-restavratsiiu-mavzoleia-lenina-chtoby-prisposposobit-ego-k-sovremennomu-ispolzovaniiu-news.
[7] Hierüber wurde im November 2024 berichtet: https://re-russia.net/en/review/789/.
[8] Eine BBC-Studie aus dem Jahr 2024 bestätigt 250 solcher „Ent-Rehabilitierungen“ durch ein einziges Militärgericht (siehe: https://www.bbc.com/russian/articles/c4gm2djdd0mo). Dieselbe Publikation, die sich auf offizielle russische Dokumente beruft, spricht von mindestens 4000 solcher Fälle, was auch von anderen offiziellen Quellen bestätigt wird; siehe: https://www.kommersant.ru/doc/7166201?tg.
[9] Ein Beispiel: Metropolit Iosif (Tschernow), der 57 Jahre lang in der russisch-orthodoxen Kirche diente, verbrachte fast 20 Jahre in sowjetischen Gefangenenlagern und wurde 1992 rehabilitiert. Er wird von vielen als Heiliger verehrt; ein Verfahren zu seiner kirchlichen Verherrlichung ist eingeleitet worden; durch seine „Ent-Rehabilitierung“ im Jahr 2024 wurde das Verfahren eingestellt. Siehe: https:// www.facebook.com/100011220767459/posts/ pfbid0CTWrMQeneukD5AmoXTKtJFwABAdnherbcaHRkWAnpQ95EV1uu71gBsdZkTfmrEK8l/.
[10] Prof. Jurij Vjazemskij, dessen Interview online verfügbar ist unter: https://rutube.ru/video/ 3759b8127272ed1df34b5427d0ec6bdbf5/.
Comments