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Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876-1951): Leben, kirchlicher Dienst und literarischer Nachlass

Zur Veröffentlichung der ersten Monographie über das Oberhaupt der Deutschen Diözese

Autor: Anatolij Kinstler

Archivarius des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA

Seit einigen Jahren macht der junge, aber bereits gut etablierte Verlag der Minsker Geistlichen Akademie auf sich aufmerksam. Dort erscheinen akademische Sammelbände, fachspezifische wissenschaftliche Ausgaben einzelner Fakultäten, Studiensammlungen, Monographien der Dozenten der Akademie sowie große wissenschaftliche Studien. Im Jahr 2024 hat das Verlagshaus Forscher und Leser mit der Veröffentlichung eines Buches von Erzbischof Antonij (Doronin) von Grodno und Wolkowyssk erfreut – „Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876 – 1951): Leben, kirchlicher Dienst und literarischer Nachlass“. Die Biographie und das kirchliche Wirken von Vladyka Venedikt sind wiederholt Gegenstand der Forschung geworden[1], aber eine so gründliche und detaillierte Arbeit über ihn wurde zum ersten Mal vorgelegt. Von besonderem Interesse für die orthodoxen Leser in Deutschland ist die Tatsache, dass Erzbischof Venedikt in den Jahren 1950-1951 die Diözese von Berlin und Deutschland der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland (ROKA) geleitet hat. Es ist wichtig zu betonen, dass dies die erste Monographie ist, die dem Hierarchen der deutschen Diözese der ROKA gewidmet ist.[2]

Buchcover: Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876-1951): Leben, kirchlicher Dienst und literarischer Nachlass

Der Autor des Buches ist Absolvent des Theologischen Seminars (2003) und der Theologischen Akademie in Minsk, wo er seine Doktorarbeit zum Thema „Weißrussische Ritualbücher des XVII-XVIII Jahrhunderts: Geschichte und Liturgik“ (2008) verteidigte.  Seine monastische Tonsur fand am 14.08.1909 im Zhirovichi-Kloster statt, welches zu seiner Zeit von Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) geleitet wurde. Am 03.01.2015 wurde er in der Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale des Moskauer Kreml zum Bischof geweiht. Im Jahr 2021 übernahm er die Diözese von Grodno und wurde damit einer der Nachfolger von Erzbischof Venedikt. Eine Reihe von Vladyka Antonijs Publikationen ist der Geschichte der Orthodoxie in der Region Grodno gewidmet. Mit Erzbischof Venedikts Biographie befasste sich der Autor literarisch bereits zuvor – „Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876 – 1951): Leben und Dienst an der Einheit der Kirche“.[3] Nach der Veröffentlichung des Buches verfasste Vladyka Antonij einen weiteren Vortrag zum Thema „Die Tätigkeit von Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876-1951) zur Stärkung der kirchlichen Einheit in Weißrussland während des Zweiten Weltkrieges“.[4]

Das Buch wurde von namhaften Historikern rezensiert: Prof. A.A.Kostrjukov (Moskau), Prof. A.A.Kornilov (Nizhnij Novgorod), Dr. A.V. Slesarev (Minsk), Ph.D. I.V. Petrov (St. Petersburg).

Mit Blick auf das Buch von Erzbischof Antonij tritt die Vielfältigkeit des Wirkens von Vladyka Venedikt deutlich zutage. Eine breite Palette von Quellen ermöglichte es dem Autor, die Biographie des Erzbischofs im Detail zu studieren und sein schriftliches Erbe – Artikel, Vorträge, Predigten – zu analysieren. Der Autor sah sich jedoch mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert, da Vladyka Venedikt in verschiedenen Ländern – Polen, Weißrussland unter sowjetischer Herrschaft und deutscher Besatzung, Deutschland – tätig war und der Zugang zu entsprechenden Archivdokumenten unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen erschwert ist. Ein großer Teil der Dokumente ging während des Zweiten Weltkriegs verloren. Vladyka Venedikt gelang es jedoch, sein persönliches Archiv teilweise nach Deutschland zu retten, als die Deutschen 1944 den weißrussischen Episkopat und Klerus evakuierten. Nach dem Tod von Vladyka Venedikt im Jahr 1951 wurden diese Dokumente in das Archiv der Deutschen Diözese der ROKA (AGE – Arkhiv Germanskoj Eparkhii)  überführt.  Neben den Dokumenten des AGE der ROKA, die vom Autor dadurch in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt werden, wurden das Archiv des Zhirovichi Mariä-Himmelfahrt-Klosters in der Studie umfassend genutzt.

Erzbischof Venedikt (Bobkovskij). Foto aus den späten 1940er – frühen 1950er Jahren. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA
Erzbischof Venedikt (Bobkovskij). Foto aus den späten 1940er – frühen 1950er Jahren. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA

Das Buch besteht aus drei Kapiteln, die jeweils eine Analyse eines zentralen Themas bieten. Das erste Kapitel ist der Untersuchung des Lebens und des kirchlichen Dienstes des Hierarchen gewidmet. Es befasst sich eingehend mit dem Zeitraum 1941-1944, als Erzbischof Venedikt die Diözese Grodno leitete. Die vom Autor präsentierten historischen Quellen und Fakten ermöglichen nicht nur ein tieferes Verständnis der Persönlichkeit und des Wirkens des Erzbischofs, sondern beleuchten auch weitgehend unbekannte Aspekte des weißrussischen Kirchenlebens in jenen Jahren. Der Autor hat den historischen und sozialen Kontext untersucht, in dem Venedikt (Bobkovskij) wirkte. Er befasste sich auch mit Vladyka Venedikts hierarchischem Dienst in Deutschland, insbesondere als leitendem Bischof der deutschen Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland.

Erzbischof Venedikts Engagement gegen die weißrussische und ukrainische autokephale Bewegung in Deutschland wird im Detail untersucht, und seine Rolle bei der „Ausarbeitung der offiziellen Position der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland in Bezug auf das ukrainische autokephale Schisma“ wird aufgezeigt.[5]

Das zweite Kapitel ist der Auswertung der pastoralen Sendschreiben von Erzbischof Venedikt gewidmet. Sie spiegeln die Besonderheiten seiner Tätigkeit als Diözesanbischof wider.[6] Der Autor hat für die Jahre 1941-1944 14 Schreiben des Hierarchen identifiziert. Davon werden elf im AGE der ROKA aufbewahrt und wurden dem Autor zwecks Veröffentlichung zur Verfügung gestellt, während drei Sendschreiben in den Archiven des Mariä-Himmelfahrt-Klosters in Zhirovichi verwahrt werden.

Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij). Foto Mitte der 1940er Jahre
Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij). Foto Mitte der 1940er Jahre

Im dritten Kapitel wertet der Autor die publizistischen Arbeiten von Erzbischof Venedikt aus und macht deutlich, dass sie einen wichtigen Teil seines schriftlichen Erbes darstellen. Die Artikel stammen aus der Nachkriegszeit. Ein großer Teil der identifizierten Artikel wurde im Nachkriegsdeutschland in der Zeitschrift „Orthodoxer Weißrusse“ veröffentlicht, von der eine Auswahl sich zusammen mit den persönlichen Unterlagen von Vladyka Venedikt im AGE der ROKA befindet. Darüber hinaus werden Manuskripte einiger von Vladyka Venedikts veröffentlichten Artikel im selben Archiv aufbewahrt. Der Autor des Buches hat die Texte in pädagogische und kirchengeschichtliche Artikel aufgeteilt. Zur letzteren Kategorie gehört beispielsweise der Aufsatz: „Der Lebensweg Seiner Eminenz Metropolit Panteleimon“.[7] Es handelt sich hierbei um den bekannten Hierarchen der Russischen Orthodoxen Kirche, Metropolit Panteleimon von Minsk und Weißrussland (Rozhnovskij, 1867-1950).[8] Erzbischof Venedikt untersucht die Aktivitäten seines Freundes und Lehrers Metropolit Panteleimon im Zusammenhang mit den kirchlichen und politischen Ereignissen der 1920er und 1940er Jahre. In dem Artikel „Autokephale Weißrussische Orthodoxe Kirche – eine neuartige sektiererische Gruppierung innerhalb der weißrussischen Kirche in der Emigration“ befasst sich Vladyka Venedikt mit einem wichtigen Phänomen der weißrussischen Diaspora in Deutschland – der Entstehung der sogenannten „Weißrussischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“ und leistet eine detaillierte Analyse und Widerlegung der Argumente, die von den Architekten des weißrussischen autokephalen Schismas zur Rechtfertigung der von ihnen vorgenommenen Spaltung formuliert wurden“.[9] Venedikt (Bobkovskijs) kirchengeschichtliche Beiträge sind vor allem deshalb wertvoll, da er an vielen der beschriebenen Ereignisse unmittelbar beteiligt war. Als Beispiel für einen geistlich-pädagogischen Aufsatz sei das Werk „Die Tage der Passion des Herrn (Aus dem Tagebuch eines Bischofs)“[10] genannt, in dem Erzbischof Venedikt seine geistlichen Erfahrungen der Karwoche schildert, was in der gegenwärtigen Großen Fastenzeit im Jahr 2025 von großer Aktualität ist.

Im Anhang des Buches hat der Autor den vollständigen Wortlaut von vierzehn bischöflichen Sendschreiben aus den Jahren 1941-1944 und sieben Aufsätzen von Vladyka Venedikt veröffentlicht. Das Buch ist mit seltenen Archivbildern illustriert, darunter solche aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese.

Ich möchte die Lektüre des Buches mit einigen biographischen Archivdaten von Vladyka Venedikt einleiten. Vladyka Venedikts kirchliches Wirken ist für die ROKA von großer Tragweite und machte ihn zu einem einflussreichen und wichtigen Hierarchen. Er selbst hat in autobiographischen Schriften aus der Zeit seines Lebens in Deutschland nur sehr wenige Angaben zu seiner Person gemacht. So enthält der Fragebogen von 1948 ein Minimum an persönlichen Informationen.[11] Das Geburtsdatum hat er nach julianischem Kalender als 13.03.1876 angegeben. Er wurde im Dorf Zavolochye, in der Region Pskov in einer Priesterfamilie geboren. Ausbildung: geistlich – Theologisches Seminar; weltlich – Universität (Kaiserliche Jurjew-Universität – Anm. d. Verf.). 1905 von Erzbischof Michael von Minsk und Turow zum Diakon und Priester geweiht. Am 30.03.1941 zum Bischof geweiht. Positionen in verschiedenen Jahren: Vorsteher eines Klosters (Zhirovicer Mariä-Himmelfahrt-Kloster – Anm. d. Verf.), Bischofsvikar von Brest, Diözesanbischof von Bialystok und Grodno. Diente in folgenden kirchlichen Jurisdiktionen: in der Russischen Synodalkirche, in der Polnischen Autokephalen Kirche, in der Weißrussischen Metropolitankirche. Zum Zeitpunkt der Befragung unterstand Vladyka der Jurisdiktion des „Synods der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland“ und war Mitglied des Synods dieser Kirche. Vladyka Venedikt war damals 72 Jahre alt, und in der Spalte „Familienstand“ schrieb er: verwitwet, Mönch.

Zusätzlich zu den Daten des Fragebogens lässt sich die Biografie von Vladyka Venedikt um ein paar Details ergänzen. Im Jahr 1944 wurde er von den Deutschen aus Weißrussland nach Deutschland deportiert. Im Jahr 1946 wurde er zusammen mit den weißrussischen Bischöfen in den Klerus der ROKA aufgenommen. Metropolit Seraphim (Lade, 1883-1950) von Berlin und Deutschland betraute Vladyka mit der Leitung der orthodoxen Kirchen und Gemeinden in den Landkreisen Wunsiedel und Bayreuth. 1950 bereitete sich Vladyka Venedikt darauf vor, zusammen mit Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij) aus Deutschland auszuwandern. Doch am 19.09.1950 berief ihn der Bischofssynod der ROKA nach dem Tod von Metropolit Seraphim (Lade) auf die Kathedra von Berlin und Deutschland. Aus Gehorsam nahm Vladyka Venedikt die Ernennung an, wobei er sie an die Bedingung des Verzichts auf den Titel eines Metropoliten knüpfte. Zeitgleich hob der Bischofssynod den 1942 gebildeten mitteleuropäischen Metropolitankreis auf, der vom Diözesanbischof von Berlin-Deutschland geleitet wurde. Im selben Jahr 1950, zog der Synod der ROKA von Deutschland nach Amerika um. Vladyka Venedikt besetzte die deutsche Kathedra in einer schwierigen und kritischen Zeit. Wichtig ist hierbei, dass der Prozess der Auswanderung der Vertriebenen (DPs) aus Deutschland fortdauerte, wodurch die deutsche Diözese Dutzende von Gemeinden, verschiedene Bildungseinrichtungen sowie namhafte Seelsorger, Kirchenmänner und Lehrer verlor, die ihren Dienst in Übersee fortsetzten. In diesem Zusammenhang musste Vladyka Venedikt das kirchliche Leben der Diözese unter neuen Bedingungen umgestalten, die Diözesanverwaltung und die Strukturen, die zuvor dem Synod unterstellt waren, einschließlich des Bildungskomitees, reorganisieren, die Frage der Anerkennung der deutschen Diözese als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts durch einige deutsche Landesregierungen vorantreiben und den interkonfessionellen Dialog weiter ausbauen.

Erzbischof Venedikt feiert die Göttliche Liturgie in der Kirche eines Flüchtlingslagers. Foto aus den späten 1940er - frühen 1950er Jahren. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA.
Erzbischof Venedikt feiert die Göttliche Liturgie in der Kirche eines Flüchtlingslagers. Foto aus den späten 1940er - frühen 1950er Jahren. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA.

An dieser Stelle seien die Worte Vladyka Venedikts zitiert, die von seiner respektvollen Haltung gegenüber Deutschland und dem deutschen Volk zeugen. Es sind Worte aus seinem ersten Sendschreiben an die deutsche Herde nach seiner Ernennung zum Diözesanbischof von Berlin und Deutschland: „Das Land, das uns beherbergt hat (…) wird von einem Volk bewohnt, das in jeder Hinsicht eine hohe Kultur und ein hohes religiöses Bewusstsein besitzt (…). Die schönen orthodoxen Kirchen, die über ganz Deutschland verstreut sind /Wiesbaden, Darmstadt, Bad Kissingen, Stuttgart usw./, sind Zeugen der langen historischen Freundschaft, die russische Menschen guten Willens mit Deutschland verbindet, das unter anderem für Russland seit alters her Schule und Nährboden für etliche Persönlichkeiten besonderer Begabung gewesen ist. (…) Ich nehme auch das große Interesse der Deutschen an unserer Orthodoxie wahr, als der Religion der ersten Jahrhunderte des Christentums. Indem wir uns der Vorsehung Gottes unterwerfen, die uns in Deutschland belässt, sollten wir uns bemühen, diesem Land nicht nur nicht zur Last zu fallen, sondern uns im Gegenteil als Mitglieder einer christlichen Familie, die durch den Glauben an den einen Vater im Himmel vereint ist, der Achtung und der brüderlichen Liebe würdig zu erweisen“.[12]

Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij) und Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) im Lager Schleißheim (München). Foto aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA.
Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij) und Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) im Lager Schleißheim (München). Foto aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre. Aus der Sammlung des Archivs der Deutschen Diözese der ROKA.

Weniger als ein Jahr stand Vladyka an der Spitze der deutschen Diözese. Er erkrankte an Krebs, ahnte jedoch nichts von der tatsächlichen Diagnose und ging davon aus, dass es sich um ein Herzversagen handelte. Ab dem 30.08.1951 verbrachte er die letzten fünf Tage seines Lebens im Münchner Rotkreuzklinikum, wo sich Mönchspriester Julian (Trotzkij) um ihn kümmerte. In der Klinik spendeten ihm Archimandrit Hiob (Leontiev), Vorsteher des Klosters des heiligen Hiob von Počaev in München, Mönchspriester Julian und Vater Anatolij Dreving, Vorsteher der Kirche des heiligen Seraphim von Sarow in München, das Sakrament der Krankensalbung und die Heilige Kommunion. Am 01.09.1951 konnte Vladyka Venedikt mit V. Julian noch die Vesper auf der Krankenstation feiern, wobei er selbst die Litanei las. Vladykas Zustand verschlechterte sich weiter. Am nächsten Tag spendete ihm Bischof Alexander (Lowtschij) von Bad Kissingen die Heiligen Gaben. Am 03.09.1951 um 8:35 Uhr schied Vladyka Venedikt zum Herrn. Am gleichen Tag begann das Abschiednehmen von Vladyka Venedikt in der Kirche des heiligen Seraphim von Sarow im Haus „Barmherziger Samariter.“ Dort wurde der Sarg mit seinem Leichnam bis zum 05.09. aufgebahrt. Anschließend wurde er in die Kathedralkirche des Erzengels Michael im Münchner Lager Schleißheim überführt, wo des Erzhirten Aussegnung stattfand.[13] Am 06.09.1951 wurde er nach der Liturgie auf dem Friedhof in Feldmoching (München) beigesetzt, neben dem Grab seines Freundes und Lehrers Metropolit Panteleimon (Rozhnovskij), welcher unlängst zuvor am 30.12.1950 verstorben war.

Im Vorwort des Buches formuliert Erzbischof Antonij das vorrangige Ziel seiner Studie – „die Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses an jenen orthodoxen Hierarchen, der die orthodoxe Diözese Grodno während der schwierigen Jahre des Zweiten Weltkriegs leitete“.[14] Neben der Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses und der Würdigung seines Vorgängers zielt Erzbischof Antonij mit seinem Buch vor allem darauf ab, das Erbe Vladyka Venedikts mit Blick auf die zeitgenössischen Herausforderungen und Probleme des kirchlichen Lebens zu aktualisieren. Erstmals wurde der Versuch unternommen, das schriftliche Erbe von Erzbischof Venedikt (Bobkovskij), seine Predigten und Lehren, zu sammeln, zu charakterisieren und zu veröffentlichen. Das Buch wird vom Publikationsgremium der Weißrussischen Orthodoxen Kirche zur Veröffentlichung empfohlen.

Die Publikation wird für Hierarchen und Geistliche, Lehrer an theologischen Schulen, Studenten der Geisteswissenschaften, Theologen und Historiker von Nutzen sein. Jeder, der sich für die Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche und die Geschichte der Orthodoxie in Weißrussland und Deutschland interessiert, wird in diesem Buch viel Wertvolles und Interessantes finden. Ich möchte dem Autor des Buches, Erzbischof Antonij, für seine wichtige und nützliche Arbeit danken und wünsche ihm, dass er sich weiterhin mit dem Leben und Wirken von Vladyka Venedikt beschäftigt und die Auflage des Buches in zukünftigen Nachdrucken erhöht! Die begrenzte Auflage von nur 99 Exemplaren des Buches kann das Forschungs- und Leseinteresse zweifellos nicht befriedigen, und das Buch ist bereits jetzt zu einer bibliographischen Rarität geworden.

Als Anhang zu diesem Material veröffentlichen wir den Text der Rede von Erzbischof Venedikt auf dem dritten Treffen von orthodoxen und lutherischen Geistlichen und Laien, das vom 19. bis 22. Januar 1951 in Hamburg stattfand. Dieser Text wurde nach der Publikation des hier besprochenen Buches im AGE der ROKA aufgefunden und wird erstmals publiziert. Diese Rede charakterisiert die Haltung Vladykas zum interkonfessionellen Dialog, der für die Orthodoxe Kirche in Deutschland allezeit wichtig und relevant ist.

Porträt von Erzbischof Venedikt. Offizielle Website der Diözese Grodno des Weißrussischen Exarchats der Russischen Orthodoxen Kirche: https://orthos.org/eparkhiya/grodnenskie-arkhierei/arkhiepiskop-venedikt-bobkovskii/
Porträt von Erzbischof Venedikt. Offizielle Website der Diözese Grodno des Weißrussischen Exarchats der Russischen Orthodoxen Kirche: https://orthos.org/eparkhiya/grodnenskie-arkhierei/arkhiepiskop-venedikt-bobkovskii/

Grußwort von Erzbischof Venedikt von Berlin und Deutschland anlässlich des dritten Treffens orthodoxer und lutherischer Geistlicher und Laien.

Ich habe die Ehre, das erste Mal an Ihrer Konferenz teilzunehmen, die das Ziel anstrebt, evangelische und orthodoxe Geistliche zusammenzuführen, um einen Meinungsaustausch und eine Erörterung verschiedener aktueller Fragen zu ermöglichen. Ich begrüße die hochgeehrte Versammlung und flehe Gottes Segen auf sie herab, da ich das edle Ziel dieser Zusammenkünfte erkenne.

Obwohl es zwischen uns Orthodoxen und den Vertretern des evangelischen Glaubens eine Reihe von Unterschieden dogmatischen und kultischen Charakters besteht, hat doch zwischen unseren Kirchen stets eine weitgehende Toleranz und das ehrliche Bestreben bestanden, eine Zusammenarbeit im Sinne des Christentums zu erreichen. Darüber hinaus haben innerhalb evangelischer Kreise früher und auch gegenwärtig immer Bestrebungen bestanden, die den Ausgleich einiger bestehender Unterschiede anstrebten. So rief beispielsweise im Jahre 1919 der bekannte evangelische Schriftsteller Jungnickel (Max Jungnickel, 1890-1945.  Anm. AK) in Deutschland zur Verehrung der Mutter Gottes auf. Der evangelische Vorsteher in Göttingen Lerzig gab ein Buch heraus – „Marienblumen auf fremder Erde“[15], das über 100 Aussprüche von protestantischer Seite anführt, die sich für einen Marienkult einsetzen. Im Jahr 1934 wurde in Köln ein Aufruf veröffentlicht, der sich an alle evangelischen Christen wandte und offen die Wiedereinführung des Marienkultes in der protestantischen Kirche verlangte. Der Verfasser dieses Aufrufes stellt fest, dass die Mütter berühmter Männer allgemeine Verehrung genießen, so beispielweise die Mutter Goethes, die Hl. Monika, Mutter des Hl. Augustin und die Hl. Helena, Mutter Konstantins u.a.m. und dass nur eine einzige ausgeschlossen und vergessen ist – die Jungfrau Maria, Mutter unseres Heilandes. In dem Aufruf wird weiter darauf hingewiesen, „dass Luther selber, der Schöpfer des Protestantismus, das Lob Mariens in vielen Liedern sang”.

Ich erinnere mich der Worte des bekannten Professors der Theologie und Philosophie J. Overbeck (Julian Joseph Overbeck, 1821-1905. - Anm. AK), der Protestant war. Er schreibt in seinem Werk „Ex Oriente Lux“: „Es wird viel über die Kirche, ihr Wesen, ihre Bedeutung und Struktur gestritten und geschrieben und dies ist ein Beweis, wie groß das allgemeine Bestreben ist, die Kirche zu finden und zu erkennen. Alles Philosophieren jedoch und alle theologischen Diskussionen sind von keinerlei Nutzen, da die Kirche kein Werk von Menschenhand ist, sondern göttlichen Ursprungs. Die Kirche besteht – man kann sie finden, aber nicht gründen. Deshalb muss in dieser Frage die Geschichte allein richtunggebend sein. Sie wird gleicherweise beweisen, in wie starkem Maße das Papsttum den Begriff der Kirche entstellt hat und wie die Reinheit der rechtgläubigen Lehre in der Östlichen Kirche erhalten blieb.“

Zu seinen evangelischen Glaubensbrüdern gewandt sagt Prof. Overbeck weiter: „Geliebte protestantische Brüder! Sehet die Kirche, welche der Heilige Geist am Pfingsttag begründete. Rom hat diese Kirche entstellt. Ihr wolltet die Kirche wieder läutern und umwandeln; als ihr jedoch an das Werk gingt, verschwand die eigentliche Kirche. Schaut nach dem Osten: Ex Oriente Lux. Dort war es nicht nötig, zu einer Reinigung der Kirche zu schreiten, da sie in ihrer Rechtgläubigkeit so rein erhalten blieb, wie sie es von Anbeginn war.“

Möge niemand unter Ihnen in meinen Worten eine missionierende Tendenz erblicken oder eine Herabsetzung der katholischen und protestantischen Konfessionen. Der Herr bewahre mich davor! Ich habe diese Tatsachen lediglich als Beweis dafür angeführt, dass es zwischen den orthodoxen und evangelischen gläubigen Bindungen gibt, die es uns ermöglichen, gemeinsam im christlichen Sinne zu wirken, besonders in der gegenwärtigen hinterlistigen Welt, wo sich alle Feinde der Kirche verbündet haben. Einst hat ein westlicher Prediger die Christenheit feierlich gewarnt: „Katholiken! Die Gefahr droht euch nicht von Seiten des Protestantismus! Protestanten! Nicht der Katholizismus ist euch gefährlich! Ihr habt einen gemeinsamen Feind und das ist der Atheismus, der inmitten der ideellen Verwirrung und im Streit der Leidenschaften sein Haupt erhebt und mit Befriedigung das Zeitalter des Unglaubens überblickt! – Dieser Aufruf erscheint in der heutigen Zeit besonders aktuell. Was würde jetzt Nietzsche sagen, der seinerzeit schrieb: „Spürt ihr nicht den Atem der Leere? Bricht nicht die finstere Nacht herein? Hört ihr nicht den Lärm der Totengräber, die Gott begraben?“ Gegenwärtig, wo ein systematischer Feldzug gegen Gott und das Christentum geführt wird, wo hartnäckig die Stimme des Großinquisitors ertönt, der Christus zuruft: „Geh, störe uns nicht!“, müssen sich alle Christen der Welt im Kampf gegen den Antichrist und den Atheismus vereinigen. Dieses soll die Losung aller Christen und ihrer Hirten sein. Unsere Zusammenkünfte werden im Rahmen der Erörterung aktueller Kirchenfragen dazu beitragen.

Mit diesen Wünschen und Gefühlen möchte ich die hochgeehrte Versammlung nochmals begrüßen und meine tiefempfundene Dankbarkeit gegenüber den Initiatoren und Organisatoren dieser Konferenz zum Ausdruck bringen, die eine gemeinsame Arbeit und eine Klärung dringender Fragen ermöglichen.

Wenedikt, Erzbischof von Berlin und Deutschland

Quelle – AGE, Ф. 4, Оп.3, К.24, д.24/1, «Третья встреча православного и лютеранского духовенства и мирян. Гамбург, 19-22 января 1951 года».  Blatt 5-7.


[1] Nikolai Artemoff, Zum 50. Todestag von Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) // Der Bote der Deutschen Diözese der ROKA 5 (2001), S. 11-19; N. Dorosch, Erzbischof Venedikt [Bobkovskij (1876-1950)]: Über sein Wirken in der Region Grodna in den Jahren 1941-1944 // Pravoslavnyj Vestnik 7-9 (2000), S. 27-29; A.A. Kornilov, Geisliche unter den Displaced Persons, Biographisches Wörterbuch, N. Novgorod – München 2011, S. 63-66; O.V. Kosik, Venedikt (Bobkovskij) // Orthodoxe Enzyklopädie, Moskau 2004, Bd. VII, S. 577-578; A. Niver, Orthodoxe Kleriker, Theologen und Kirchenmänner der russischen Emigration in West- und Zentraleuropa, 1920-1995: Biographisches Handbuch, Moskau – Paris 2007, S. 121-122. 

[2] Das beachtenswerte Werk von Erzpriester Boris Danilenko über Ivan Alexejevitch Gardner (Vikarbischof Philipp von Potsdam in den Jahren 1942-1944) beschäftigt sich mit dem Studium seines wissenschaftlichen, musikalischen und journalistischen Erbes als bedeutendem Spezialisten für Geschichte des orthodoxen liturgischen Gesangs, nicht jedoch mit seinem Wirken als Erzhirte. Siehe: Boris Danilenko, Zur künstlerischen Biographie von I. A. Gardner (1898-1984), Moskau – München 2008, 324 Seiten. Ivan Alekseevichs eigene Tagebuchaufzeichnungen wurden zur Grundlage eines jüngst erschienenen vierbändigen Werks: Ivan Gardner, Das Meer des irdischen Lebens. Erinnerungen, 4 Bände, Moskau 2021-2022. Darüber hinaus existiert ein Buch über einen anderen deutschen Erzhirten, Erzbischof Athanasius (Martos), der 1946-1950 das norddeutsche Vikariat leitete, welches jedoch der literarischen Gattung der Autobiographien angehört. Siehe „Auf dem Feld Christi. Erzbischof Athanasius (Martos, 1904-1983). Überarbeitete und ergänzte Ausgabe, 2003: http://www.fatheralexander.org/booklets/russian/na_%20nive_hristovoj_archb_athanasios.htm. Ebenfalls zu den nicht wissenschaftlichen Untersuchungen gehört das polemische Werk: „Weißes Buch. Leben und Werk von Erzbischof Athanasius, herausgegeben von der Gesellschaft der Verehrer Seiner Eminenz Erzbischof Athanasius, Buenos-Aires – Agosto, 1971.

[3] Antonij (Doronin), Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876 – 1951): Leben und Dienst an der Einheit der Kirche // Kirche und Zeit 105 (2024), S. 89-116.

[5] Antonij (Doronin), Erzbischof Venedikt (Bobkovskij) (1876-1951): Leben, kirchlicher Dienst und literarischer Nachlass, Minsk 2024, S. 41.

[6] A.a.O., S. 45.

[7] Venedikt (Bobkovskij), Der Lebensweg Seiner Eminenz Metropolit Panteleimon // Orthodoxer Weißrusse 6 (1949), S. 1-5; Im Boten der deutschen Diözese wurden früher bereits Manuskripte von Vladyka Panteleimon (Rozhnovskij) veröffentlicht, die im Diözesanarchiv aufbewahrt werden: Autobiographie // Der Bote 5-6 (2012), S. 8-12; Gedanken und Erinnerungen an den letzten deutschen Krieg // Der Bote 1 (2013), S. 22-26.

[8] Autobiographie von Metropolit Panteleimon, s. Bote 5-6/2012, S. 8-12. - Red.

[9] Antonij (Doronin), Erzbischof Venedikt (Bobkovskij), S. 60.

[10] Venedikt (Bobkovskij), Die Tage der Passion des Herrn (Aus dem Tagebuch eines Bischofs) // Orthodoxer Weißrusse 10 (1950), S. 1-2.

[11] AGE, Ф.2. Оп.4. К.19. Д.19. Б/л.

[12] Zeitschrift: Verfügungen Seiner Eminenz Venedikt, Erzbischof von Berlin und Deutschland, September (1950), S. 6.

[13] Im Buch von Vladyka Antonij wird der Ort der Aussegnung von Vladyka Venedikt fälschlicherweise als „Erzengel-Michael-Kirche in Füssen (einem Vorort von München)“ angegeben (S.42). Füssen ist kein Vorort von München, sondern liegt im Regierungsbezirk Schwaben im Landkreis Ostallgäu.

[14] Antonij (Doronin), Erzbischof Venedikt (Bobkovskij), S. 8.

[15] In vielen Ausgaben dieser Sammlung wird nicht Lerzig, sondern Karl Josef Baudenbacher als Autor genannt. Siehe z.B.: Karl Josef Baudenbacher, Marienblumen auf fremder Erde. Hundert Zeugnisse von Protestanten für die katholische Marienverehrung, Ohlinger Verlag.

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