Osterbotschaft des Metropoliten Mark von Berlin und Deutschland
"Die Auferstehung Christi haben wir geschaut..." Wie viele schöne Worte haben wir gehört über den Fortschritt! Die Menschheit habe endlich das finstere Mittelalter verlassen, sei erwachsen geworden, zivilisiert. Auf Schritt und Tritt — Fortschritt! Alles in seinem Namen. Also schien es, dass Kriege, in denen Millionen Menschen umkamen, im fernen 20. Jahrhundert zurück geblieben sind, und jetzt ist uns der Frieden gesichert in Ewigkeit. Freilich, trotzdem flammten Kriege auf, hier und dort, aber das war doch alles nicht bei uns, irgendwo in der Ferne. Von den entfernten und «lokalen» Konflikten zogen wir es vor beiseite zu schauen, nicht hinzuhören. Bei uns war doch alles in Ordnung. Uns schien, dass breite und verlässliche Wege zur «Zusammenarbeit, Frieden und Sicherheit in Europa» verlegt seien. Und so schien es auch, man brauche dem keine besondere Beachtung zu schenken, dass das aufgeklärte Europa Gott vergisst — auf schleichende Weise in diese Vergessenheit einsinkt und das Wort Gottes durch die Predigt anderer «Werte» übertönt wird. Vor solcher geistlicher Sorglosigkeit warnte uns der Apostel: «Wenn sie sagen werden: Friede und Sicherheit, dann überfällt sie plötzlich Verderben» (1 Thess 5:3). Die Scheinkulisse ist zusammengestürzt. Der Beginn des 21. Jahrhunderts legt die Wahrheit offen: Europa ist wieder in der finstersten Barbarei — in einem brudermörderischen Krieg. Wegschauen geht nicht mehr. Und keiner kann hoffen, dass unsere jetzige Welt unfähig sei, einen noch furchtbareren, weltumfassenden Krieg anzufachen. Wir sehen die Wurzeln dieser Katastrophe: Hinterlist, Heuchelei, Lüge. Daher dieser Schwall der Anfeindungen, der alles unter sich begraben, in den Menschen alles Menschliche ausrotten will. Es gilt diejenigen, die gestern noch Brüder waren, in den Hass gegeneinander zu treiben, für immer. Es gilt die Schuldigen zu bestimmen, das Urteil über sie zu sprechen und möglichst sofort zum Vollzug der Hinrichtung zu kommen. In Wirklichkeit aber sind alle schuldig — die Nahen wie die Fernen, vom fernen Westen bis zum fernen Osten. Der Krieg wurzelt in der Sünde. Jede Sünde ist — Krieg gegen Gott. Eine jede, eines jeden von uns. Wo der Begriff von Sünde vernebelt ist, dort reift Spaltung und Krieg. In diesen Krieg traten zwei Brudervölker ein, die einer Wurzel entsprossen. Sie waren einst ein ostslavischer Stamm, und gemeinsam wurden sie getauft in den Strömen des Dnjepr. Jahrhunderte lebten sie gemeinsam, hatten eine gemeinsame Erziehung, Lehre und Aufklärung. Immer wieder litten sie gemeinsam von äußeren Angriffen und innerer Unordnung. Und beide wurden des rechten Glaubens beraubt. Die einen verließen ihn durch krassen Unglauben, die anderen durch Krummglauben. Dieser versuchte schon lange in diese Weiten vorzudringen, Jahrhundert für Jahrhundert. Zwar wurde ihm manchmal Widerstand geleistet, aber manchmal gelang es diesem auch Wurzeln zu schlagen. Stets war die Folge: Blut und Verderben, äußere Kriege und innere Kriege, «Bürgerkriege». Die Macht des Erbfeinds der Menschen gründet von jeher auf Täuschung. Der erwachsene Christ jedoch, der sowohl Herz, als auch geistliche Vernunft besitzt, kann und soll Lüge von Wahrheit unterscheiden. Schmerzvoll ist: Wenn der Mensch träge wird, seine Achtsamkeit schwindet, die Urteilskraft unscharf wird, dann flüchtet er zu einem «erleichterten» oder «bequemen» Christentum. Es schwindet der innere Drang, sich durch die Mysterien der Kirche zu nähren, und der Mensch eilt nicht mehr, sein Leben mit geistlichem Sinn zu erfüllen, ein rechtschaffenes Leben auf dem Fundament des rechten Glaubens aufzuerbauen. Vielmehr wird der Glaube herabgewertet zur «kulturellen Tradition», wird zu einem Element der Folklore, zum Anhängsel des Nationalgefühls. Und siehe da, irdische, und dann auch rein fleischliche Bestrebungen übernehmen den Menschen, in ihm stirbt das Streben nach dem wahrhaft Höchsten, dem himmlischen Königreich, nach Gott — dem Vater aller. Dann werden die Worte des Herrngebets, vom ersten im «Vater unser...» bis zu den letzten von der Vergebung und der Erlösung von dem Bösen, ebenso wie sämtliche Worte Christi zu leeren Hülsen. Krummglaube, Irrglaubve, Pseudoglaube, Unglaube — sie alle werfen den lebebendigen Gott aus dem Herzen hinaus. Hierbei glaubt der betrogene und beraubte, aber in seinem Stolz gefestigte Mensch, dass er freier und wahrhafter sei, als früher. Eine solche Selbstsicherheit, diese Art Dünkel nannten die heiligen Väter «Verblendung» (russ. «prelest»). Die wahre, allumfassende Freiheit und Rechtschaffenheit kommt nur von Gott. In dem Einen Gott ist der echte Sieg: Sieg über den Tod und alle Mächte der Hölle, den wir heute feiern. Wir Christen sind in erster Linie Bürger des Himmelreichs, und erst danach sind wir Bürger irdischer Länder, ganz verschiedener, und manchmal solcher, die — so bitter es sein mag — gegeneinander stehen. Und siehe, Millionen friedliche Menschen verließen ihre Heimat, ihr Land und ihre Felder, die über Jahrhunderte hinweg bestellt wurden von ihren Vorfahren, so dass sie nicht nur sich selbst davon ernährten, sondern auch halb Europa. Aber jetzt hören wir, dass noch Millionen Menschen hungern werden auf der gesamten Erdkugel… Nein, nicht politische Leidenschaften, nicht Machtverteilung und Gier nach Reichtum sind es, welche die Welt ernähren, sondern ehrliche und friedliche Arbeit. Doch es gibt eine Arbeit, ein Sich-Mühen, das immer in unserer Macht steht. Frei sind wir, einen jeden Tag hier unsere Fähigkeiten, unsere seelischen Kräfte einzusetzen. Das ist der Aufbau unserer Seelen in Christus und des Friedens in unseren Seelen. Christus ist unser Friede. Hat Er sich doch nicht abgewendet von unserer Sündhaftigkeit, sondern hat sie überwunden, als Er auf unsere Erde herabgestiegen war: hat uns mit Gott versöhnt, indem er die Feindschaft getötet hat — man könnte auch sagen «den Krieg getötet hat» - durch das Kreuz (Eph 2:14.16). Er will uns auferwecken, auferstehen lassen, aus der sündhaften Finsternis und emporheben in Sein wunderbares Licht (1 Petr 2:9). Einen jeden von uns. Und was legt Er uns ans Herz als Gebot? Gebt acht, erschreckt nicht, lasst euch nicht irreführen und verwirren — dies nicht nur bei Kriegen, sondern auch bei den übrigen schreckenerregenden Ereignissen, die über den Erdkreis kommen (Lk 21:26; Mt 24:4-44). Und der heilige Apostel Petrus stärkt uns: «Geliebte! Lasst euch nicht befremden durch die Feuersglut, die über euch gekommen ist zu eurer Erprobung, als ob euch etwas Befremdliches widerfahre» (1 Petr 4:12). Lasst uns also, liebe Brüder und Schwestern, unsere Herzen zusammenschweißen, denn wir nähren uns aus der lichten und reinen Quelle, aus der unsere gemeinsamen Väter tranken — die Väter der Kiewer Rus, des Höhlenklosters, Chersones, Potschaew… Das Osterfest wird licht für uns sein, wenn wir Christus dem Lebensspender versprechen, den Glauben ohne Beimischung menschlicher, christusfremder Interpretationen so in aller Reinheit zu bewahren, wie ihn unsere Vorfahren empfangen haben, - die heiligen apostelgleichen Olga und Wladimir, die heiligen Väter Antonij und Feodosij des Kiewer Höhlenklosters, wie ihn die heiligen Hiob und Amfilochij von Potschajew bewahrt haben, und während der gottfeindlichen Unzeit der Kiewer Hierarch und Neumärtyrer Wladimir (Bogojawlenskij) mit vielen heiligen Neumärtyrern, die in ihrem irdischen Leben Christus die Treue hielten und jetzt mit uns und mit allen Engeln in der Kirche Christi singen: «… lasst uns anbeten den heiligen Herrn Jesus, den einzig Sündenlosen!»
Wie viele schöne Worte haben wir gehört über den Fortschritt! Die Menschheit habe endlich das finstere Mittelalter verlassen...